Ein Sabbatjahr

20. Dezember 2009

2009 neigt sich seinem Ende zu und von den prognostizierten Katastrophen ist nur eine eingetreten: schwarz-gelb regiert wirklich in Berlin.
Die Bildzeitung hatte schon -– intellektuell -– den großen Ticker aufgestellt, um die Schweinegrippetoten in Deutschland zu zählen. Das hat dann aber irgendwann keinen Spaß mehr gemacht, weil Zahlen so unspektakulär waren. Und so richtig hat sich auch niemand anstecken lassen von der Hysterie. Der bestellte Impfstoff kann nun entweder an ein anderes Land verkauft werden, das noch nicht weiß, dass es ihn nicht brauchen wird oder - weniger betrügerisch -– mit einer Ergänzungssubstanz versehen werden, die dazu führt, dass er auch gegen Zahnfäule hilft und ein brauchbarer Ersatz für Yogitee ist.
Noch Mai wusste Marc Beise von der Süddeutschen Zeitung und mit ihn viele weitere Experten, dass „im Herbst die Arbeitslosenzahlen rasant steigen“ werden. Prognosen erleben derzeit nicht gerade eine Hausse, aber leider ist es auch noch nicht üblich, dass wer sich einmal kräftig geirrt hat, gezwungen wird, wenigstens ein Jahr nur noch im Konjunktiv zu schreiben. Man könnte an dieser Stelle bedauern, dass „DIE KRISE“ nicht zur Reflektion genutzt wurde, ob es wirklich des Daseins höchster Zweck sein kann, Gegenstände einzukaufen. Ob die Menschenwürde es wirklich ewig aushält, dass eine gute Gesellschaft vor allem die ist, die sich tagelang in Geschäften tummelt. Aber dann kam doch zu früh die Nachricht, dass wir den Anforderungen genügen: das Weihnachtsgeschäft läuft prächtig. Na, Gott sei dank.
Der große Terroranschlag auf Deutschland steht auch noch aus. Merkwürdig übrigens, dass gerade konservative Apologethen der „es-ist-keine-Frage-ob-sondern-nur-wann“-These die Anwendung ihrer Theorie auf die Risiken der Atomkraft so konsequent verweigern.
Mit gekränkter Enttäuschung nimmt die deutsche Gesellschaft zur Kenntnis, dass Südafrika als Ausrichter der WM 2010 wohl doch rechtzeitig fertig wird. Das prognostizierte Scheitern des Experiments wird von Tag zu Tag weniger wahrscheinlich und die Deutschen sind langsam aber sicher allein mit ihrer Einschätzung, dass das „Sommermärchen“ den letztgültigen Standard für Fußballturniere gesetzt hat und jede Turnierneuauflage damit im Grunde überflüssig wird.
Ach ja, – das Gesundheitssystem arbeitet auch noch – trotz Einheitsfonds.
2009 ist für den kleinen deutschen Kosmos kein schlechtes Jahr gewesen – auch wenn man dies für die globalen Themen im Lichte der gescheiterten Klimakonferenz und der existenzvernichtenden Wirtschaftkrise mit gutem Recht anders sehen kann.
Doch so sind die nationalen Auguren der Apokalypse 2009 wieder mal gescheitert – bleiben aber ganz sicher optimistisch, dass ihre Prognosen 2010 endlich wahr werden.

Aus meiner Sicht wird 2010 dann ein gutes Jahr, wenn Angela Merkel in der ach so anbetungswürdigen Rangliste der mächtigsten Menschen des Forbes Magazine zwar nicht vor allen kolumbianischen Drogenbossen, aber doch wenigstens vor Silvio Berlusconi landen wird.

13. Dezember 2009

Ich habe die letzten Tage in einem feinen Wellnesshotel auf der Insel Rügen verbracht und möchte mit diesem Einleitungssatz die Motivation für das Thema meines heutigen Beitrages erläutert wissen.
Nacktheit in der Öffentlichkeit ist ein Sujet, das in der bundesrepubikanischen Gesellschaft nicht einheitlich beurteilt wird. So ist es mindestens unüblich, unbekleidet spazieren, einkaufen oder zur Arbeit zu gehen. Einigen Mitbürgern, die dieses dennoch versuchten, widerfuhr daraufhin die behördliche Ingewahrsamnahme unter Berufung auf die öffentliche Ordnung oder den Straftatbestand des öffentliches Ärgernisses.
Diese – unter liberalen Gesichtspunkten – rigide Behandlung des Themas erfährt eine örtlich begrenzte Linderung, weil es an Stränden von Meeren und Seen sowie auf Liegewiesen in Parks geduldet wird, dass der Bürger und die Bürgerin sich – unter Anbehaltung wenigstens einer Hose – öffentlich entblättern.
Aus dem Ganzen aber nun ein absolutes Nacktheitsverbot abzuleiten, ginge dennoch fehl: An FKK-Stränden und in öffentlichen Saunen ist vollständige Nacktheit nicht nur erlaubt, sondern in fortgeschrittenem Maße erwünscht. Im Unterschied zum Spazierweg eines Kurparkes wird hier nicht der Nackte verhaftet, sondern der sporadisch Bekleidete argwöhnisch beäugt. Um einen abstrakten Rechtssatz zu bilden, könnte man formulieren, dass in Deutschland öffentliche Nacktheit verboten ist, es sei denn dass eine Mehrheit der Anwesenden sie verlangt oder wenigstens begrüßen würde. In diesem Fall kehrt sich das Recht auf Nacktheit indes zur Pflicht.
Da ich auf den Genuss einer Sauna nicht verzichten will, auf das Erlebnis gemeinsamer Nacktheit mit anderen Menschen hingegen schon, verstoße ich gegen dieses Gesetz:
Während der Exhibitionist unter seinem Trenchcoat nichts anhat und in diesem Aufzug durch den Stadtpark schleicht, trage ich unter dem Handtuch, das ich mir um die Hüften gewickelt habe, eine Badeshorts, die meinen Ansprüchen an Sittsamkeit genügt und die den Moment, in welchem mir das gewickelte Handtuch planwidrig verlustig geht, weniger peinsam werden lässt.
Doch dem strengen und prüfenden Blick meiner Mitbürger entgehen weder der Exhibitionist noch ich. Während dem einen unausgesprochen vorgehalten wird „ich weiß, dass Sie da nichts drunter tragen“ wird der andere gemustert und aus dem schweigenden Gesicht spricht „ich weiß, dass Sie was drunter tragen“. So richtig konsequent ist diese Moral ja nicht.
Mein Mann wurde übrigens unlängst Zeuge, wie ein älterer – unbekleideter – Berliner drei türkischstämmige Jugendliche in der Dusche des Stadtbades Schöneberg mit den Worten belehrte: „In Deutschland duscht man ohne Hose“. Wollen wir mal zu seinen Gunsten unterstellen, dass der ältere Herr sich als einziger Nackter in der Dusche einfach unwohl fühlte, und deshalb auf die Idee verfiel, sein Tun mit einer stolzen – und flugs erdachten – Tradition seines Vaterlandes zu verteidigen. Welch schöne Vorstellung: Die neuerdings so erstrebenswerte positive Hinwendung des Deutschen zu seiner Nation wird nackt unter der Dusche zelebriert, gewissermaßen als Verkörperung des so deutschen Reinheitsgebotes. Dennoch erlaube ich mir zu bedauern, dass wir wohl nicht in der Lage sind, die Frage von Nacktheit der Willkür und der Schamhaftigkeit jedes Einzelnen selbst zu überlassen.


6. Dezember 2009

Das gemeinsame Essen von Menschen wird immer wieder als Gipfel menschlicher Kultur gepriesen, als erstrebenswertes Ziel gemeinsamer Bemühungen kommunikativen Miteinanders. Im Familien- und Freundeskreis mag diese Einschätzung ihre Berechtigung haben, – jedenfalls solange sie keinen Anspruch auf Einbeziehung auch des Kochvorganges erhebt: Sich mit mehreren Menschen gemeinsam um Kochtöpfe und Herdplatten zu versammeln, jeder Teilnehmer mit einem eigenen Lieblingsgewürz in der Hand, ein babylonisches Stimmengewirr anschwellen zu lassen und die kulinarischen Ideen zum heiligen Zwecke zu vereinen – in der Regel: zu addieren – kann nur bei Menschen auf Wohlgefallen finden, die sich auch an Bildern erfreuen können, die aus der Feder von Menschenaffen stammen. Denn wer kein Ergebnis erwartet, ist bei einem schlechten Ergebnis schon positiv überrascht.
Doch das gemeinsame heitere Miteinander am heimischen Herd wird noch spielend übertroffen von seiner hässlichen großen Schwester: dem Geschäftsessen oder dem Essen mit Kollegen.
Ort des Dramas ist für gewöhnlich ein ambientefreies Restaurant mit Mittagstischangeboten für die Anzugträger der nahe gelegenen Bürogebäude oder eine hallige frühere Maschinenstellanlage, die heute als Kantine genutzt wird, freilich ohne die einstmals menschenfeindliche Akustik gegen eine bessere zu ersetzen.
Das Mittagstischrestaurant bietet Speisen für den kleinen Geldbeutel, den kleinen Appetit und den kleinsten Geschmack an, die Kantine für den noch kleineren Geldbeutel, einen vulgären Appetit und einen völlig indifferenten Geschmack.
Diese Umstände zu bedauern ist indes völlig überflüssig, denn das Geschäftsessen ist ohnehin nicht dazu angelegt, kulinarische Interessen zu befriedigen, es geht eher um die Demonstration mehr oder weniger geschliffener Umgangsformen und Manieren, um Fingerfertigkeit auch gegenüber exotischen Speisen und um en passant präsentiertes weltmännisches Wissen über fremde Sitten.
Das Kantinenessen wiederum dienst der Aufrechterhaltung von lebenswichtigen Funktionen für den Nachmittag. Gegenstand der Essübung in der Kantine ist in der Regel primär, den Inhalt des eigenen Mundes trotz Gesprächsführung über erhebliche Themen nicht über seinen Teller oder den des Gegenüber zu ergießen und die Hand nicht ungehörig zur Hilfe zu nehmen auch wenn das manchmal praktischer wäre.
Da der Gegenstand des Geschäfts- oder Kollegenessens nun also erkanntermaßen hochgradig unerfreulich ist, spricht im Grunde nichts dagegen, ihn einem Rahmen zuzuweisen, der weniger kostbare Rohstoffe als die für das Essen notwendigen Lebensmittel aufwenden muss. Geeignet für künftige geschäftliche Zusammenkünfte könnten daher auch zugige Bahnhofswartehallen sein oder oder ein hinreichend aufnahmefähiges Unisex-Urinal.

29. November 2009

Der Nationalismus ist in Deutschland schon mehrfach gescheitert, wenn auch keineswegs immer an den Deutschen. Doch vor mehr als drei Jahren fand die Nation endlich zu einer Passform des heimattümelnden Deutschfühlens: der tanzende Nationalismus.
Während des sprichwörtlich gewordenen „Sommermärchens“ fand sie statt, die große Einigkeit derer die gerne Fahnen schwingen und Tränen zum Deutschlandlied herauspressen können und jener, die gern auf der Straße tanzen, sei es im chilenischen Naturstoffe-Poncho oder auch gleich ganz nackt. Beiden extremen Gruppierungen war vorher kaum möglich, Ihrer Leidenschaft in der Öffentlichkeit zu frönen ohne von den jeweils anderen dafür bespuckt zu werden. Aber so fanden sie einander zum ausgelassenen Tanz auf der Straße und zu Gratisumarmungen für zufällig vorüberkommende auswärtige Gäste – stets gehüllt in das unvermeidlich werdende schwarz-rot-goldene Tuch.
Geboren war der „fröhlich-selbstbewusste, tanzende und weltoffene Nationalismus“.
Diese neue Stilrichtung scheint ihre erste Bewährungsprobe in einer schwarz-grünen Landesregierung in Hamburg zu bestehen. Schon bei der zweiten, aber stellen sich Zweifel ein: Die Regierung Angela Merkel bekommt schlechte Presse, weil sie in der neuen Europäischen Kommission mit Günther Oettinger nur den Energiekommissar stellen darf. Merkel habe im Gegensatz zu den Regierungen in London, Paris und Madrid schlecht verhandelt und sei mit einem unwichtigen Posten abgespeist, während kleine Länder wie Dänemark und Finnland wahre Schwergewichte in der neuen Kommission stellen dürften. Dass dies schlecht für Deutschland sei, findet sogar die liberale Süddeutsche Zeitung.
Hier spricht der Nationalismus, der seinen Platz heute wohl auf jeder Zunge einnehmen darf. Doch er tanzt nicht, nicht im Poncho, und auch nicht selbstbewusst.
Das fröhlich-nationale, liberal-aufgeklärte Deutschland ist beleidigt. Beleidigt von den „kleinen Europäern“, die nicht in einer von Deutschland angeführten Polonaise tanzen wollen, beleidigt von seiner Regierung, die es unterlassen hat, den anderer Europäern einen Spitzenjob für einen Deutschen abzuzwingen – obwohl sie das gekonnt hätte.
Eine konservative Regierung unterbietet den Standart nationalen Empfindens der post-rot-grün geprägten Gesellschaft!
Ihr Poncho-Träger dieser Welt, schaut auf diese Tat: es ist Zeit, wieder im Poncho zu tanzen und in der Deutschlandfahne das zu erkennen, was sie immer war: der Mundgeruch der Nationalisten nach intensivem Genuss von Bier und Zigaretten.


22. November 2009

Ich habe mir heute das jüngste Fabrikat der Harry-Potter-Serienherstellung auf DVD ausgeliehen um anschließend eine kleine hochtrabende und herablassende Rezension zu schreiben. Doch nun bin ich - nach Betrachtung - der Meinung, dass sich die atemberaubende Schlichtheit und zeitgeistatmende Gleichförmigkeit des Werkes eigentlich so sehr jedem aufdrängen muss, dass ein paar schnöselig hingeworfene Zeilen der Geringschätzung gleichsam einen ganzen Eulentransport nach Athen darstellen würden. Also lasse ich meine Gedanken zu einer anderen Geschichte schweifen:
Ich bin 32 Jahre alt und hatte bis vor kurzem noch niemals Austern gegessen. Auch während meines diesjährigen Aufenthaltes an der französischen Atlantikküste nutze ich nicht die Gelegenheit zu einer Premiere, obwohl die Edelmuscheln dort überall zu erstehen waren.
Da es mich hin und wieder verlangt, etwas zu tun, was ich noch nie zuvor getan habe, fassten sich meine Schwester und ich vor ein paar Wochen ein Herz, fuhren zum Kaufhof am Alexanderplatz und verlangten an der Feinkosttheke „zwei Austern, bitte“.
Die Verkäuferin warf uns einen missbilligenden Blick zu und fragte „Also für jeden zehn?“
„Nein, nein, wir wissen noch nicht, ob wir das mögen. Es ist für uns das erste Mal.“ Überraschender Weise eröffnete dieses kindliche Eingeständnis das Herz der Fachverkäuferin. Ein Hauch von mütterlichem Verständnis huschte über ihr Gesicht, bevor sie sich ihrer Erziehungsaufgabe erinnerte und streng fragte: „Und wissen Sie, wie man die zubereitet?“ Mein Schwester war vorbereitet: „Na, mit m’ Messer aufmachen und dann mit Zitrone runterschlucken.“
Die Verkäuferin sah sich erschrocken um und beugte sich weit über die Theke, wohl um die Lautstärke des Gespräches zu reduzieren und unsere Unwissenheit vor den Umstehenden zu verbergen. „Na, dit Messer wollt’ ick aber sehen,“ wisperte sie. „Da nehm’ Se besser einen Schraubendreher. Und immer schön weg vom Körper und schön kräftig. Ick hab mir da bei die ersten Male schon ordentlich weg jetan. Und“ – sie hob die Augenbrauen – „keene Zitrone. Sonst verkauf ich Ihnen die Dinger nicht.“
Gesagt getan: Kurz darauf standen wir mit Schraubendreher, einem Pikkolo aus dem Spätverkauf und zwei Austern auf meiner Terrasse und setzten viel Kraft an diverse potentielle Hebelpunkte der überraschend schweren Meerestiere. Unsere Vorfreude, nun gleich einen Schritt zur Teilhabe an dem Erfahrungsschatz der oberen Zehntausend zu tun, steigerte sich durch die Schwierigkeiten nur noch. Als es schließlich soweit war und wir die beiden Austern geöffnet in den Händen hielten, erlitt die Erhabenheit des Moments erste Schäden, da eine geöffnete Auster wohl nur dem Kenner ihre ganze Schönheit zu teil werden lässt: Wie ein großer grauer Kaugummi lag die Muschel in der Schale und schwabbelte ein wenig in leicht galertartigem Meerwasser vor sich hin, was allerdings auch dem Zittern meiner Hand geschuldet gewesen sein mag, die nunmehr ahnte, die Hand eines wahrhaft feinen Mannes zu werden.
Zwar fürchte ich, dass die folgende Einschätzung mich für immer aus höheren Kreisen desintegrieren könnte, doch verlangt die Ehrlichkeit, mich aufrichtig an das folgende Geschmackserlebnis zu erinnern: Ich ließ aus der Schale einen Klumpen in meinen Mund rutschen, der die Konsistenz von eitriger Rotze und den Geschmack von ebenfalls eitriger Rotze an salzigem Meerwasser aufwies. Den nachfolgenden Kampf zwischen meinem Gefühl für Anstand und den lebenserhaltenden Funktionen gewann der Anstand knapp und erst nach zähem Ringen als ich den Klumpen geräuschvoll herunterschluckte. Meine Schwester, die hier andere Prioritäten gesetzt hatte, wusste noch zu sagen, dass „beim ersten Mal kaum einer die Dinger mag.“
Für mich wird es wohl kein zweites Mal geben. Wenn ich wieder das Bedürfnis verspüren sollte, etwas zu essen, was selten und teuer ist, grill ich mir vielleicht einen Porsche.


15. November 2009

Alexis Passadakis, 31, ist von Beruf Aktivist der globalisierungskritischen (wenn man dieses Wort einmal akzeptiert) Attac-Bewegung. In der SZ vom 6. November 2009 gibt er ein aufschlussreiches Interview, das mir beim Lesen viel Freude bereitet hat:
Er berichtet, dass er mit ca. 1000 Euro pro Monat auskomme, die er teilweise mit Seminaren, teilweise mit Arbeit für eine Initiative für eine Vermögensabgabe verdiene. Er spare an seiner Kleidung, habe für sein Hemd 5 Euro im Second-Hand-Laden bezahlt und kürzlich von seinem Bruder einen Pullover mitgehen lassen. Er wolle vermeiden zu fliegen, doch falle dies im Alltag schwer, so habe er unlängst doch das Flugzeug besteigen müssen, um rechtzeitig ein Protest-Camp auf Lesbos zu erreichen. Dies müsse künftig noch besser werden, denn – flugs beruft er sich auf Adorno – es gebe kein richtiges Leben im Falschen. Von seinen WG-Mitbewohnern habe er immer die gleichen politischen Einstellungen erwartet, namentlich erwähnt er Vegetarismus. Eine politisch andersdenkende Partnerin kann er sich nicht mehr vorstellen, denn es sei besser „man ist sich wenigstens über das Grundsätzliche einig“.
Diese Ausführungen sind an und für sich schon lustig genug und bedürfen eigentlich keiner humoristischen Aufarbeitung. Doch beantworten sie wenigstens teilweise, warum viele der richtigen Anliegen von Attac nicht zu einer breiten gesellschaftlichen Forderung werden. Personal wie Passadakis muss der Alptraum jedes ernsthaften Erneuerungsprozesses sein, weil kaum ein gutwilliger Mitbürger auch nur in der Nähe solchen selbstgerechten Lautsprechers vermutet werden will.
Passadakis ist bereit, sich selbst für die Genügsamkeit zu bewundern, mit 1000 Euro auszukommen, die er für Engagements bei Initiativen bekommt, die seiner Attac-Bewegung nahe stehen. Der tapfere „Freelancer“ Passadakis ist daher so armutsgefährdet wie ein abgewählter Funktionär des Polit-Establishments, für den sich immer ein lukratives Pöstchen finden wird. Die echten Berliner Selbständigen mit prekariatsgefährdender Universitäsbildung wären für durchschnittlich 1000 Euro im Monat dankbar!
Erfreulich ist natürlich, dass Passadakis auch weniger bekannte Bonmots Adornos unfallfrei zitieren kann und zugunsten seiner unentbehrlichen Teilnahme am Protestcamp auf Lesbos dann doch – ganz unideologisch – in ein Flugzeug steigt.
Ob Kleidung für 5 Euro – aus dem Second-Hand-Laden oder nicht – jedoch zu fairen Bedingungen hergestellt worden sein kann, muss Passadakis selbst wissen.
Fast bedaure ich, nie in einer WG gelebt zu haben, in der man Vegetarismus für eine politische Einstellung hielt und vor Aufnahme in die WG nach seinem Wahlverhalten gefragt wurde. Das heiter-spaßige Miteinander bei gleichgerichteter Wertorientiertheit hätte sicher meinen kritischen Geist noch geschärft. Außerdem hätte ich vielleicht die Chance gehabt, ein gluten- und gelatinefreies Mousse-au-Chocolat als politische Nachspeise zu etablieren.
Dass Passadakis die politischen Meinungen auch in einer Liebesbeziehung für „das Grundsätzliche“ hält, muss jede potenzielle Bewerberin zurückschaudern lassen. Ob seine optische Erscheinung den gleichen Effekt hervorruft, muss indes den individuell Betroffenen zur Beurteilung überlassen werden.
Passadakis ist mindestens 10 Jahre zu alt um seine ganz und gar inroniefreie Prinzipienfestigkeit aufrecht, intellektuell und charmant zu finden.
In seinem gnadenlosen Anspruch auch an Mitstreiter erinnert er an den Revolutionär Maximilien Robespierre, der freilich nicht alt genug wurde, um die Kraft der Milde für seine Ziele zu entdecken.
Das wiederum wäre in Passadakis Fall eigentlich schade, denn dieser lässt sich auch mit der Erkenntnis zitieren, dass es ein Mythos sei, dass jemand Geld hat, weil er viel geleistet hat.
Diesen – und nur diesem – stimme ich von Herzen zu.



8. November 2009
Ich habe meinem Mann zum Geburtstag einen Besuch in der Komischen Oper mit anschließender Führung durch das Haus geschenkt.
Ich habe meinem Mann schon bessere Geschenke gemacht.
In Berlin ist es kaum möglich, irgendwo falsch angezogen aufzutauchen. In der Oper ist dies indes kein Problem und uns auch im ersten Zugriff gelungen. Nachdem wir erfolgreich missbilligende Blicke auf unsere Jeans-Hosen ignoriert hatten, begutachteten wir nun unsererseits Herren in Buiseness-Anzügen oder auch dem beliebten beige-karierten Ausgehstöffchen sowie zu stark geschminkte Frauen in offenkundig unbequemen Kostümen, gern auch in Begleitung ihres kunstbeflissenen Nachwuchses, der sich rechtzeitig vom Klavierunterricht oder der Reitstunde losreißen konnte.
Dieser Nachwuchs erbringt übrigens problemlos den Nachweis, dass die optischen Unterschiede zwischen 15- und 35jährigen durch Coiffure und Schminke formvollendet bestritten und nivelliert werden können – ein Umstand, den sich ein älterer Herr in Beleitung seiner Tochter und seiner Freundin, die allerhöchstens so alt war wie seine Tochter – recht bedenkenfrei zu Nutze machte.
Als die Vorstellung begann, brach sich leider Resthusten meines gerade von einer Angina genesenen Gatten in geringen Dosen Bahn – sehr zum Verdruss der Tochter des jungverliebten Methusalem, die sich nunmehr bei jeden der dezenten Huster meines Mannes umdrehte, um ihm streng in die Augen zu sehen. Ich forderte meinen Mann auf, in unterschiedlichen Zeitabständen weiter zu husten und steuerte auch selber ein affektiertes Hüsteln bei. Da sich die junge Frau jedes Mal zu uns umsah, schlussfolgerten wir, dass sie nicht an periodisch-notorischen Bewegungszwangsneurosen litt, sondern disziplinierend auf uns einwirken wollte, vielleicht gar um zu demonstrieren, dass nur weil man seinen Vater und dessen juvenile Gespielin in die Oper begleitete, man noch lange nicht jeden Sinn für Anstand und Betragen im Angesicht der ewigen Künste verloren hatte.
Wir gewöhnten und schneller an ihre Blicke als sie sich an das Husten und hätten nun dem Kunstgenuss frönen können. Dies muss im Grunde auch möglich gewesen sein, da die umsitzenden Herrschaften dem Schauspiel mit einem Gesichtsausdruck folgten, der nichts geringeres als die totale Verzückung oder aber das Abbild einer gleichzeitigen qualitativ hochwertigen oralen Befriedigung wiederspiegelte.
Mein Mann und ich indes lernten, dass wir der Musik Verdis im Allgemeinen und ihrer Ausprägung in „Rigoletto“ im Besonderen nichts abgewinnen können. Mit etwas aufwendigerer Vorbereitung hätte man dies sicher auch schon antizipieren können, doch so war es wie es war und wir waren beide glücklich, dass ich mich gegen das Opernabo als Geschenk entschieden hatte.
Es ist sicher wohlfeil, in den Werken größer Künstler nach wiedererkennbaren Harmonien zu suchen. Doch Rigolettos Musik orientiert sich schockierend ausschließlich an den Texten des langweiligen Bühnenstücks. Dadurch entstehen ausgedehnte Passagen eines Sprechgesanges, den man heute Rap nennen würde – und auch nicht unbedingt schön finden muss. Und als ich endlich eine Passage erkannte, hätte ich beinahe die Werbung für Schoko-Crossies aus den frühen Neunzigern mitgesunden – und das wäre mir auch ohne den unweigerlichen Tadel der Rächerin der Etikette peinlich gewesen.
Wir lernten dann zu schätzen, dass Rigoletto keine lange Oper ist.
Am nächsten Tag während der Führung durch das Opernhaus senkten wir zunächst mit zwei Mal 32 Jahren den Altersdurchschnitt der Teilnehmer empfindlich und erfuhren, dass heutzutage nur noch Kunstbanausen die Kulturpolitik bestimmen und außerdem dass das noch Zeiten waren. Was auch immer! „Der Mann, der Bescheid weiß“ – er ist ja irgendwie bei jeder Führung dabei – bat die diensthabende Theaterpädagogin der Komischen Oper noch um Rechenschaft für die geringe Auslastung des Hauses und erwarb sich das ungläubige Staunen der Umstehenden, als er prognostizierte, dass die Diskussion um drei Opernhäuser in nur einer Stadt bei nicht rentabler Auslastung die Stadt eines Tages heimsuchen werde. Nun ja, der beste Zeitpunkt für eine Prognose ist ja bekanntlich nach Eintritt des zu prognostizierenden Ereignisses.
Während die Theaterpädagogin ein Gesicht machte, als wolle sie den Mann-der-Bescheid-weiß entweder mit einem Lehrbuch der öffentlichen Betriebswirtschaft erschlagen oder ihm die Feuilletons der letzten 10 Jahre tief in den Rachen stopfen, verabschiedeten wir uns beschwingt in die kalte Berliner Luft mit leichtem Appetit auf Schoko-Crossies und einem kleinen Lied auf den Lippen: „unwidersteeeeehlich – jetzt auch in weiß!“.


1. November 2009

Die unwissenden Zeitgenossen haben das Wissen als Schlüsseldisziplin der Wissensgesellschaft entdeckt und und trachten seither, der Wissenslosigkeit mit aller brachialen Gewissenhaftigkeit zu Leibe zu rücken.
So wird kaum mehr jemand einer neuen Aufgabe gegenübergestellt, ohne zuvor die Wunderwaffe in die Hand gedrückt bekommen zu haben: Die Schulung – gewissermaßen das Schwert Exkalibur der Gegenwart.
Schulungsveranstaltungen wandeln den Unwissenden binnen Stunden in ein Mitglied der Partialkogneszenten, die Westentaschenvariante des universitären Master-Abschlusses, höhnischer Abklatsch der modernistischen – und dennoch niemals ernst gemeinten – Drohvision vom lebenslangen Lernen.
Dieser weltlichen Vorhölle war ich jüngst ausgesetzt und Gegenstand der Erörterungen war eine etwa 90 minütige Lesung aus waschechtem Gesetzestext. Nun ist schon die im juristischen Tagesgeschäft ab und zu erforderliche auszugsweise Lektüre von Vorschriften nicht eben erhebend – wenn es sich nicht gerade um ewig schöne Formulierungen wie die des Grundgesetzes oder eines Steuergesetzentwurfes aus der Feder von Paul Kirchhof handelt. Doch die beinahe vollständige Verlesung eines leibhaftigen Berliner Landesgesetzes kann nur inspirierend sein, wenn man Bild und Geräusch ausblendet und den eigenen Gedanken Zuflucht in entfernten Fantasien gewährt.
Bei dieser Gelegenheit habe ich das gut auch zu mehreren zu spielende Spiel erfunden, bei dem der / die Spieler versuchen müssen, etwas zu finden, was noch langweiliger ist, als die gegenwärtig zu genießende Schulung. Nur wenn die Begründung hierfür sauber gelingt, ist der Punkt gemacht.
Ich habe das Spiel direkt ausprobiert und scheiterte zunächst wie folgt:
- Dem Gras beim Wachsen zusehen – ist identisch langweilig mit der Schulung, hat aber wenigstens Farbe.
- Alle „o“s eines Textes mit blau ausmalen – ist gar nicht so langweilig, wenn man es mal konzentriert versucht - und kann hinterher an einen enthusiatischen aber einfältigen Kunstfreund verkauft werden.
- Die eigenen Ohren zählen – so sinnlos ist das nicht, sollte man hin und wieder mal machen.
Knöpfe annähen – ist auch sehr langweilig, aber irre sinnvoll: schon Minuten später ist man froh, es getan zu haben.
- Regenschirme testen – klingt langweilig, aber wenn man es versucht, kommt die Begeisterung.
- Guppies züchten – harte Konkurrenz, aber hinterher hat man wenigstens was zu essen.
Gewonnen habe ich schließlich mit den Vorschlägen Kalorien zählen und die kommende Schulungsveranstaltung zum Thema „Gender Mainstreaming“. So hat ja irgendwie alles sein Gutes.

25. Oktober 2009

Dieser Beitrag ist ein Rätselspiel. Suchen Sie in den folgenden Zeilen zehn Worte, von denen sich ein Mensch mit gutem Geschmack sofort und ohne zu zögern übergeben muss. Aber seien Sie vorsichtig, die Worte setzten sich schnell in jungfräulichen Sprachschätzen fest und sind nur noch mit einer Exorzistenzange zu beseitigen. Also Handschuhe an und los geht’s:

Am Rande der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse sagte der Vertriebsleiter eines großen Verlages, Jonas-Peer von B., zur Einführung des elektronischen Buches:
„Ich habe das elektronische Buch (e.B.) für mich entdeckt und mein Leseverhalten total umgestellt. Die Faszination der Sparte Lesen hat ihre zukunftsfähige Vision gefunden. Mit dem e. B. belaste ich das Gewicht meines Handgepäckes nicht wie mit zehn Büchern und gehe so gut aufgestellt in die Zukunft. Endlich begegne ich meinen transatlantischen Kollegen wieder auf Augenhöhe. Und wenn man überlegt, was die Verlage noch an innovativen Approaches in der Pipeline haben, wird einem die ganze dynamische Entwicklung noch bewusster, von der man am Ende des Tages ein Teil sein kann und will.
Der überkommene Buchdruck ist auch im Rahmen des Umweltbereiches ein No-Go geworden – dem Verbraucher ist zu kommunizieren, dass das e.B. ein zeitgemäßes Abnehmerverhalten in Korrelation mit den Bedürfnissen der Gegenwart abbildet.“

Ich hoffe, es geht Ihnen allen noch gut und empfehle mich in einen sonnigen Sonntag.


18. Oktober 2009
Will man die perfekte Umgebung beschreiben, in der ein Kind aufwachsen könnte, so würde man an große Gärten, Kletterbäume, gepflegte Spielplätze, verkehrsberuhigte Straßen, wohlsortierte Spielwarenläden und Schulen mit kontrollierbarer Abgabe von Betäubungsmitteln denken.
Diese Beschreibung passt nur sehr vage auf Berlin Prenzlauer Berg, den Elternkiez, von dem man überall weiß, dass es eines Tages ein Adelstitel sein, wird, dort aufgewachsen zu sein. Vermutlich können Malik-Alexander und Henriette-Frederike sich eines Tages mehrere ansonsten obligatorische Auslandsaufenthalte im Lebenslauf sparen, wenn sie stolz darauf verweisen werden, dass sie im internationalen Kindergarten den Chinesisch-Kurs für Fünfjährige besucht haben. Für die körperliche Geschmeidigkeit werden frühe Yoga-Stunden gesorgt haben und die beträchtliche Beredsamkeit einer Rhetorik-AG als Nachmittagsveranstaltung in der Grundschule geschuldet sein.
Da fällt es gleich weniger ins Gewicht, dass Grünflächen rar und von Hundekot durchsetzt sind, dass die Wohnkieze von Magistralen begrenzt werden, die andernorts zwangslos als Autobahn durchgehen würden und nach der Feinstaubbelastung des Berliner Innenstadtbereiches vorsichtshalber gar nicht erst gefragt wird.
So drängt sich der Verdacht auf, dass Berlin-Prenzlauer Berg weniger ein Paradies für Kinder als vielmehr für deren Eltern ist. Kurze Wege, gelegentliche Parkplätze, Gesellschaft anderer Eltern, gemeinsame Bewältigung der Zwangsneurose, bei jeder Wahl Grün zu wählen, obwohl man die CDU gemeint hat, und das Privileg mit dem Kinderwagen mitten vor der sich öffnenden Straßenbahntür zu stehen, machen das Leben in Prenzlauer Berg für Eltern attraktiv. Dies wurde mir zur Gewissheit, als ich bei der diesjährigen Fête de la musique Diane Weigmann im Kinderprogramm sinngemäß singen hörte „Wir essen gerne Obstsalat, ohne Zucker und aus dem Bioladen darf er sein“. Es war dies ein Moment der Entspannung für Väter, die im Freizeitsakko ihr Kind beim Tanzen vor der Bühne filmten und für Mütter, die mit milder Mattigkeit Vorübergehende für das Streifen des Kinderwagens tadelten – und eine Kampfansage jemanden, dessen größter Held das Krümelmonster mit seinem ungebremsten Heißhunger auf Kekse, Einrichtungsgegenstände und Kraftfahrzeuge war und ist.
Übrigens wirken die wenigsten Eltern im Prenzlauer Berg so entspannt und glücklich, wie man es von Menschen erwarten sollte, die sich ihren eigenen Garten Eden bauen durften: Noch gestern erklomm ich die Treppen zum U-Bahnhof Eberswalder Straße – direkte hinter einem schnaufenden Vater, der einen schweren Kinderwagen hinauftrug. Oben angekommen, erwartete er hinter sich seine Frau/-eundin mit dem Kind auf dem Arm, die ich jedoch gerade überholt hatte. Jedenfalls stellte er den Wagen ruppig ab, fuhr herum sprach im mein Gesicht, statt in das des Kindes: „Na, setzt Du dich jetzt endlich in den Wagen?“
„Gern“, sagte ich, „aber ich bin nicht sicher, ob der mich aushält.“
Der Mann machte ein Gesicht, als wollte er mich verprügeln, tat dann aber so, als hätte er mich nicht bemerkt, und hatte sicher später am Tag noch Gelegenheit, seine gute Laune an seiner Familie auszulassen.
Vielleicht hätte er versuchen sollen, das Kind mit einem Stück Möhre zu bestechen, auf dass es sich in den Wagen setze. Oder notfalls auch mit einem Stück Schokolade...

11.Oktober 2009

Wenn ich mir nicht auferlegt hätte, dieses Mal keinen politischen Beitrag zu schreiben, würde ich heute von diesem wunderschönen Traum von Mittwochnacht erzählen, in dem Guido Westerwelle gezwungen war, seine erste Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in einem gescheckten Katzenkostüm zu halten. Aber sei’s drum: Was hat mir sonst noch Freude gemacht, diese Woche?
Das internationale Uni-Ranking, worüber die Nation wieder in Schwermut versinken könnte, weil deutsche Unis keine Spitzenplätze einnehmen.
Das nicht minder internationale Ranking über die Lebensqualität in 180 Staaten, mit Norwegen als Nr. 1 und Deutschland weit hinter Irland und Island auf Platz 22. Ich war letztes Jahr in Norwegen – für zwei Wochen im Sommer und es hat jeden Tag den ganzen Tag geregnet!
Wenn die deutschen Universitäten nicht so mies wären – wie ich aus den Ranglisten weiß – würde ich dort für nächste Woche mal eine Studie in Auftrag geben, wo auf der Welt man am besten essen kann – und egal wie bescheuert die Bewertungskriterien diesmal sein werden, da kann Deutschland gar nicht im Mittelfeld landen.
Über die Meldung, dass Deutschland noch immer Exportweltmeister ist, hat sich auch wieder niemand gefreut, erstens weil alle fürchten, dass sich das sowieso bald ändert (das fürchten wir schon seit Jahren) und zweitens weil – hach – die Binnennachfrage dabei doch so vernachlässigt wird.
Und wenn es einmal Kenngrößen gibt, die messen können, wie sehr sich eine Gesellschaft selbst unbarmherzig verachten kann, werden wir endlich nach Erstellung des entsprechenden Rankings voller Stolz sagen können: Wir sind die Nummer eins. Und das bleiben wir auch!


4.Oktober 2009

Mein Mann und ich sitzen im Zug von Mailand nach Berlin. Die meditative Wirkung von zwei Wochen Korsika lässt mich darüber nachdenken, ob ich gern eine Smaragdeidechse wäre. Es sind nicht nur schwache Momente, in denen mir ein Leben, das maßgeblich aus Sausen und Huschen auf sonnengewärmten Sandsteinfelsen besteht, attraktiv erscheint.
Ein italienischer Grenzpolizist erscheint mit einem Hund, der seine Schnauze schnuppernd und ohne Zögern in den Rucksack meines Mannes versenkt, angelockt von einem mailänder Käsebrötchen ohne Butter und Geschmack. Den intensiven Duft von Marihuana aus meiner Kraxe ignoriert das Tier.
„Nazionalitá!“, bellt der Grenzposten, was er zweifellos von seinem Hund gelernt hat.
„Chinesen“, will mein Mann gerade vorschlagen, ist dann aber von einer vorüberziehenden Blumenwiese abgelenkt. Und ich bin natürlich zu feige, zu sagen: „Ihre? Na, schaun wir doch mal: kleiner Pimmel, grobe Umgangsformen - wahrscheinlich Italiener.“
Wir hindern den Hund daran, das Käsebrot zu essen und geben uns als Deutsche zu erkennen. Ob der Grenzposten sich darüber freut, ist schwer zu sagen, jedenfalls zieht er mit seinem Hund weiter.
Aus der Ferne habe ich flüchtig die schwarz-gelbe Läuterung meiner Heimat vernommen. Von vergangenen Wahlen kenne ich es, dass die Parteien nach Auszählung der Stimmen kleine Dankesbotschaften an ihre Wähler auf die mittlerweile weiterverzierten und regendurchnässten Wahlplakate kleben. Ob dies diesmal auch geschieht? Die kleinen Parteien mögen mit Recht Dank sagen, Westerwelles FDP vielleicht selbstbewusst mit den Slogan: „Endlich haben Sie verstanden!“ Aber die Großen? Die CDU könnte schreiben: „Danke für Ihr Restvertrauen, wir werdens nicht noch mal versauen.“ Und die SPD? Der dank an die verbliebenen Wähler könnte durch drei oder vier Mitarbeiter der Partei an einem freien Wochenende jeweils durch persönlichen Handschlag ausgesprochen werden, sodass auf die Plakate andere wichtige Botschaften geklebt werden könnten, z.B. „Jede Gesellschaft hat die Regierung, die sie verdient!“ oder „Hier könnte Ihre Werbung stehen: Plakatwerbung lohnt sich.“
Für einen Moment wünsche ich mir, dass mein Mann mich nicht gezwungen hätte, die Zeitung während des Urlaubes abzubestellen, die ich heute abend noch gemütlich hätte durchschmökern können. Manchmal sind die Gründe sonderbar, sich auf zu Hause zu freuen...

27. September 2009

Ich bin im Urlaub und daher nicht zu einer Aktualisierung aufgelegt. Bitte sich am Beitrag von letzer Woche zu erfreuen, oder auf die nächste Woche zu warten.

20. September 2009

Einer meiner Kollegen – er leitet ein Sachgebiet in einem Finanzamt – hat mich in der jüngeren Zeit zu einer kleinen Hommage an seine Person animiert:

Ich kannte Hans, ein Krokodil,
das war stets hungrig, aß sehr viel.
Hans sagte gern: „Wenn ich nur gähne,
zeig ich tausend spitze Zähne.
Die sind scharf und zehnmal besser
als hundert allerfeinste Messer.“
Auf auf die Bizeps, die wie Steinchen
hingen an den Stummelbeinchen,
und auf seinen langen Schwanz
war er sehr stolz, der grüne Hans.
Er sagte: „Seht mich nur an, ich bin ein Wunder.
Lobt mich, liebt mich, sonst gibt’s Zunder!“
Doch, lieber Hans, du willst zu viel:
Du bist und bleibst ein Krokodil.

13. September 2009

Das Bild, das wir von der Vergangenheit haben, ist geprägt vom Erkenntnisstand der Gegenwart und nahezu immer herablassend: in schwarz-weißen Bildern paradieren vor unseren inneren Augen gestrenge Preußen vor tumben Herrschern oder ballern frühe Kriegswaffen rauchausstoßend auf den Feind, Millionen huldigen hässlichen kleinen Männern mit Schnauzbart und (etwas später) den Heimatfilmen vom Immenhof.
Neben diesen katastrophalen Haupterinnerungen muss jedoch auch die vergangene Zeit ein erklecklich Maß an schalkhafter Lebensfreude geboten haben: seltene Fundstücke zeugen von kleinen fast vergessenen Heldentaten von Menschen, in denen das Leben auch in jener damaligen Zeit nur so brodelte, ohne dass die Schatten dessen, was kommen würde, sie auch nur im geringsten belasteten. Wie heute eigentlich auch.
Im Jahre 1901 ereignete sich in Berlin, dass die dort in jenem Sommer infernalisch grassierende Hitze eine besondere Belastung nicht nur für in Uniformen schwitzende Preußen sondern auch für Pferde darstellte, welche die Trambahnwagen durch die Straßen zogen, in welchen die Hitze stand wie ein Denkmal ihrer selbst.
Nicht wenige der Tiere erlitten einen wahrhaftigen Hitzekollaps, was die Verkehrsgesellschaft BVG zum Handeln zwang: Sie schaffte in großem Umfang Vorrichtungen an, welche die Pferde vor den sengenden Strahlen der unbarmherzigen Sonne schützen sollten: Strohhüte.
Der den Beschaffungsvorgang einleitende Transportinspektor Siegbert schrieb – natürlich gänzlich erdacht – an seinen Vorgesetzten den Beförderungsoberrat Dr. Wilhelm:
“... erlaube ich mir Herrn Oberrat hinsichtlich des jüngst aktenfällig gewordenen Sachverhaltes über den Gesundheitszustand der bei hiesiger Transportgesellschaft in Dienst gestellten Transportgäuler, wie nun folgt, einen untertänigen Vorschlag zur Lösung zu unterbreiten:
Die augenfällige Unvertraglichkeit der Gäule bezüglich der übermaßenden Sonnenbescheinung ähnelt nach Auskunft des Medizinalrates Dr. Klein derjenigen, die auch Menschen in nämlicher Situation zeitigen. In Anbetracht dessen sollte die zu findende Lösung sich daran orientieren, wie auch der Mensch vergleichbare Unpässlichkeit überwindet und zu seiner ganzen Leistungsfähigkeit zurückfindet.
Dr. Klein berichtet aus der Sachkunde seiner täglichen Praxis, dass der Mensch auf eine erhöhte Außentemperatur durch steigenden Verbrauch an kühlem Wasser und den Gebrauch von Vorrichtungen zum Schutz vor der Sonne reagiert. In letzterem Sinne kämen landläufig Hüte aus leichten Materialien und modische Kappen in Betracht.
Nach Rückvernehmen mit dem mit Bekleidungsdingen betrauten Inspektor Schönau eignet sich die durchschnittliche Taille eines Herrenhutes auch zur Bedeckung eines Pferdekopfes, sodass ich höflichst und untertänigst vorschlage, dass Herr Oberrat sich an die Firma Mies und Meier OHG zu Schöneweide wenden wolle mit dem Belieferungswunsche, über 120 Strohhüte einer mittleren Größe mit schwarzem oder gelbem Hutband. Als ergänzende aber auch erhebliche Anforderung ist dabei darauf zu bestehen, dass die Hüte mit je zwei passenden Löchern für die Ohren der Träger zu liefern sind, in den Positionen von 10 und 2 Uhr in der Krempe.
Anzuregen bleibt mir nur noch, dass auch unsere menschlichen Bediensteten im Sinne eines einheitlichen Auftretens mit identischen Hüten einzukleiden sein könnten.
Vorzüglichst wie untertänigst grüßt
Siegbert
Transportinspektor“
Herzlichen Applaus aus der Gegenwart!


6. September 2009

Diese Woche ist leider ohne nennenswerten Spaß an mir vorbeigerauscht. Allerdings habe ich mir heute nacht eine neue Ausrede ausgedacht, die man charmanterweise bringen kann, wenn man sich zu einem Termin verspätet hat, weil man verschlafen hat: "Ich habe leider meinen Schalfan-Zug verpasst...". Ist doch auch was!

30. August 2009

Paul Kirchhof – oder wie sich mancher auch noch liebvoll erinnern wird „dieser Professor aus Heidelberg“ – ist ein Mann, dessen Positionen auf Grund ihrer reaktionären Ausprägung gerade für die Jüngeren unter uns keinen realen Bezug zu wirklichen Fragen dieses Lebens haben.

Es ist dennoch schwierig, sich den Ausführungen Kirchhoffs zu entziehen, da er mit scheidender Folgerichtigkeit argumentiert und auch bloße Behauptungen mit unbezähmbarer Wucht aufzustellen weiß. Vor Jahren habe ich bei einer Podiumsdiskussion erlebt, wie Kirchhof den damaligen Chef des BDI (und Cousin im Geiste) Hans-Olaf Henkel mit wenigen Sätzen wie Ergebnis einer dringenden Notdurft mit minderer Sprechbefähigung aussehen ließ – und dass nur weil Henkel im Nebensatz das Zurückstehen familiärer Belange hinter die notwendige Flexibilität von Abreitnehmern gefordert hatte.

So konnte ich mich einer Bewunderung für die intellektuelle Gewalt Kirchhofs nie verschließen, die ich als ästhetisch und elegant empfand gleich einer stolzen Flutwelle, die sich grau-blau und schäumend auftürmt – bevor sie Tod und Verderben über die Bewohner der Küste bringt.

Doch scheint die Kunst der Formulierung und der Schutz des geistreichen Habitus niemandem mehr zur Seite zu stehen, der sich der Politik verschrieben hat: Paul Kirchhof hat dies vor vier Jahren getan.

So ließ er sich am 21. August 2009 im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung mit den Worten zitieren „wir brauchen ein Mehr an Freiheit eine Weniger an Geld“ [für Hilfen für die notleidende Wirtschaft, A.d.V.]. Diese Formulierung fällt im Grunde nicht weiter auf, da der gelegentliche Beobachter des Berliner Politik-Betriebes mit vielen lieblos gestanzten Phrasen behelligt wird, die von vielen für Gut befunden und benutzt werden. So ist es den Parteien stets ein Anlegen „sich gut aufzustellen“ und „Deutschland/die Rentenversicherung/die Allgemeinen Ortskrankenkassen zukunftsfähig zu machen“. Sie diskutieren gern „auf Augenhöhe“ (insbesondere die von Komplexen geplagte SPD mit der CDU – aber auch Angela Merkel mit dem US-Präsidenten, was wohl ohne Zuhilfenahme einer Zimmerleiter kaum möglich ist), oder setzen „Richtlinien/Parteitagsbeschlüsse/sonstiges Blabla eins zu eins um“.

Doch sollte der Wahlbürger aufmerken, wenn das Politgesprechsel einer Metastase gleich nach der Wortwahl im liebenswerteren Teil des Lebens zu greifen versucht: Paul Kirchhof unterstellte im gleichen Gespräch mit der SZ, dass Michelangelo Buonarotti die Herstellung seines David mit den Worten erklärt habe, er habe einfach „das Zuviel an Marmor“ weggenommen.

Bis hier und nicht weiter! Wenn Kirchhof in der Kantine für ehemalige Bundesverfassungsrichter „ein weniger an Tiefkühlerbsen und ein Mehr an Bratensoße“ verlangt ohne um seine verblichene Sprachfertigkeit zu trauern, ist das seine Angelegenheit, wenn er aber ohne Skrupel unschuldige und verstorbene Kunstgenies zu Kronzeugen seiner verqueren „Ein-Mehr-ein-Weniger-Ein-Genaurichtig-Wortwahl“ machen will – lässt uns diese anmaßende Dreistigkeit vermuten, dass er einen passablen Minister abgegeben hätte.

Von Michelangelo heißt es übrigens wirklich, dass er „einfach allen Marmor entfernt“ habe, „der nicht zu einem David gehört“. Und so möchte ich doch eher glauben, dass dies in etwa die Worte eines Mannes waren, der Marmor behandeln konnte als wäre es Wachs – und nicht die von Paul Kirchhof, der Wachs behandeln will als wäre es Marmor.

23. August 2009

Dass eine wichtige Wahl bevorsteht, kann man nicht unbedingt an Größe und Anzahl der plötzlich überall auftauchenden Plakate ablesen, sonst hätte vor der im Juni stattgefundenen Europawahl doch größerer Aufwand getrieben werden müssen. Sehr wohl aber erkennt man an den Plakaten, ob den Politikern eine Wahl wichtig ist: bei der bevorstehenden Bundestagswahl ist dies offensichtlich der Fall.
Jeder Fahnenmast der Greifswalder Straße ist in jeweils identischer Höhe mit den gelben Aushängeschildchen der FDP bestückt, auf denen abwechselnd der lokale Direktkandidat (sein Name ist mir schon wieder entfallen) und der überlokale Ex-Kanzlerkandidat (dessen Name entfällt mir trotz eifrigen Bemühens nicht) auf das umworbene Wahlvolk herabgrinsen. Für einen Moment könnte man glauben, dass die Liberalen einfach die Schilder aus der Mottenkiste geholt haben, die sie 2005 im irrigen Glauben, die Wahl werde ein Selbstläufer, gar nicht erst aufgehängt haben. Ganz taufrisch wirkt der Wahlspruch „Arbeit muss sich wieder lohnen“ ja nicht mehr, dumpf meint die Erinnerung, den irgendwo schon mal gehört zu haben. (Andererseits liegt es vielleicht auch nahe, auf bewährtes Werbevokabular zurückzugreifen, nachdem man das Unions-Plakat mit der Aufschrift „Wir haben die Kraft“ über dem Konterfei von Angela Merkel eine Weile hat auf sich wirken lassen...).
Doch selbst wenn die FDP ihre alten Schilder recycelt hat (im Grunde ja lobenswert), so hat doch mindestens eine graphische Nachbearbeitung stattgefunden: wenn nicht alles täuscht, sind die Schläfen von Guido Westerwelle bereits grau gefärbt, wie man es von einem künftigen Außenminister erwarten kann (Wenn Wahlplakate eine Tonsequenz absondern würden – und GOTT SEI DANK tun sie das nicht – würde Guidos Fistelstimmchen sicher schon so heiser knarzen wie Joschka Fischer in seinen besten Tagen). Auch meint man, in Gesicht des Chefliberalen das Werk eines gütigen Weichzeichners auszumachen – und hofft verstohlen, dass der künftig auch bei bewegten Bildern zum Einsatz kommt.
Als intellektuell-kreative Fingerübung für die Mittagspause möchte ich übrigens meinen geneigten Leser empfehlen, Alternativen zum FDP-Evergreen über die Arbeit, die sich wieder lohnen muss, in identischer Syntax aber mit weniger Brechreizwirkung zu finden und gegebenenfalls ein nahes Werbeplakat damit zu ergänzen.
Ein paar Beispiele:
Am AKW will ich gern wohnen!
Bei Verstopfung ess ich Kraut mit Bohnen!
Harz Vier Empfänger niemals schonen!
Entwicklungshilfe mit Kanonen!

Nie den Regenbogen aus dem Auge verlieren, Guido!




16. August

Eine der Fragen, die die Menschheit schon seit langem beschäftigt, ist bekanntlich, ob es erstrebenswert ist, seine Wohnung mit einem Flusspferd einzurichten oder nicht.
Wie jede Antwort auf große Fragen kann auch diese hier nur fragmentarisch letztlich unbefriedigend ausfallen:
Einem Flusspferd eilt nicht die Kunde voraus, sei ein freundlicher oder unterhaltsamer Hausgenosse. Doch verdienen seine Vorzüge als Einrichtungsgegenstand einige Beachtung. Ein Flusspferd, das sich in der Wohnung setzt, kann durch den Akt des Setzens eine Mehrzahl von Haushaltsgegenständen ersetzen, ja entbehrlich machen; der Nussknacker, die Heftmaschine und der Dielenhammer seien hier nur beispielhaft genannt. Peinlich ist allerdings darauf zu achten, dass das Flusspferd nicht seinerseits auf bereits vorhandenem Sitzmobilar oder gar einer darauf darauf sitzenden Person Platz nimmt, da anderenfalls mit massiven Verformungen oder anderen Verschlechterungen des Mobiliars oder des Menschen zu rechnen ist.
Erfreulich ist das Flusspferd auch als neuartige Sitzgelegenheit, bei großen Exemplaren sogar als Sitzgruppe zu nutzen. Orts- und wohnungskundige Flusspferde werden nach Ausreifen des Produkts in der Lage sein, den oder die auf ihm sitzenden Menschen bei Bedarf vom Wohnzimmer ins Badezimmer und wieder zurück zu transportieren, ohne dass der Mensch die hierzwischen liegende Strecke zu Fuß überwinden müsste.
Keinesfalls zu unterschätzen ist der dekorative Aspekt eines Flusspferdes, da es exzellent zu graudominierten Umgebungsfarbtönen, weitgehend problemfrei aber auch zu anderen Geschmacksmustern passt und auf Grund seiner zeitlosen Formgebung als harmonisches Ganzes eine ästhetisch hochwertige Ergänzung zu jeder Stilrichtung darstellt.
Die mit einem Flusspferd eingerichtete Wohnung verrät durch einen Hauch dezenter Exotik das neugierig-forscherische Wesen ihres Bewohners und lässt ihn – mit gutem Recht – auf der Höhe der Zeit erscheinen.
Einzugestehender Maßen sind die Pflege und der übrige Erhaltungsaufwand eines Flusspferdes keine zu vernachlässigende Größe, sowohl hinsichtlich der großen Mengen Heu, die zwangsläufig im Wohnzimmer aufzubewahren und täglich aufzufrischen sind als auch im Hinblick auf den Auslauf, den ein das Tier zur Erhaltung seines belebenden Esprits, unbedingt braucht. Es ist nicht für jeden Halter unproblematisch, mit den bis zu 45 km/h schnellen Dickhäutern mitzuhalten wenn sie im Park herumtollen. Doch mit einem ambitionierten Maß an Fitness kann auch ein durchschnittlicher Halter mit den körperlichen Fähigkeiten eines Flusspferdes mithalten und durch konsequente Befolgung des Leinenzwanges gewährleisten, dass er jederzeit die volle Kontrolle über das Flusspferd hat.
Bei wertender Gesamtbetrachtung muss das Flusspferd als zeitloses wie auch topaktuelles Symbol einer refelektierten und trendbewussten Lebensführung empfohlen werden.

9.August 2009
(zu SZ vom 5.8.2009 „NATO-Generalsekretär überraschend zu Besuch in Kabul“)

Wenn sich Politiker dieser Welt gegenseitig besuchen, dann geschieht dass immer mit einem gewissen Aufwand. Spontaneität ist nichts in der internationalen Diplomatie, vielmehr wird präzise ein Ablaufplan vorbereitet, der es allen möglichen Gesprächspartnern offen lässt, intelligente Gesprächsbeiträge vorzubereiten, den Köchen die Berücksichtigung aller Vorlieben des Gastes erlaubt und der Musikkapelle der jeweils Verantwortung tragenden Militäreinheit Gelegenheit gibt, die Nationalhymne (oder wenigstens das Lieblingslied) des Gastes einzuüben. Durch den langen Vorlauf können auch Demonstranten ihrer Kreativtät für noch originellere Parolen auf Plakaten freien Lauf lassen. Und wenn der Gast dann da ist, kleiden sich die Gastgeber in vornehmes Tuch, vorsorgen sich mit ausreichend tauglichen Dolmetschern und mit ordentlich Dschingderassabum wird das Programm abgespult.
So wird man also selten ein überraschendes Klopfen an den Türen von Angela Merkel, Barack Obama, Silvio Berlusconi (dort jedenfalls nicht an der Tür, durch die die Staatsgäste kommen) oder Nicolas Sarkoszy hören. Anders ist das offenbar bei einigen wenigen anderen Staatenlenkern dieser Welt. Wenn man in der Zeitung die häufige Schlagzeile „Politiker X überraschend zu Stippvisite in Afghanistan / Irak eingetroffen“, kann man sich ja vorstellen, wie undiplomatisch heiter ungezwungen es etwa am Hofe von Hamid Karsai zugeht: Wenn der Afghanische Präsident von seinem Büro mal kurz zur Toilette will, trifft er auf den Flur den US-Präsidenten oder dessen Verteidigungsminister, der bekundet, gerade in der Gegend gewesen zu sein, und daher mal auf ein Schwätzchen vorbeigekommen zu sein. Oder es steht mitten in der Nacht die Bundeskanzlerin vor der Tür, die eigentlich mit den Flugzeug ihren Wahlkreis auf Rügen besuchen wollte, aber irgendwo falsch abgebogen sein muss.
Auf Nationalhymnen und Lieblingsspeisen muss bei dieser spontimäßigen Planung natürlich verzichtet werden. Aber haben wir nicht alle ein Refugium, in das wir uns zurückziehen können, Freunde, bei denen wir immer Unterschlupf finden können, egal was wir wieder über den Geastgeber gesagt haben oder ob wir beim letzten Besuch das Klo vollgekotzt haben? Dieser Rückzugsraum jenseits aller steifen Förmlichkeiten sei auch ranghohen Repräsentanten westlicher Staaten gegönnt. Afghanistan als Neuzeitvariante der Kommune am Stuttgarter Platz.
Aber wehe, sie kündigen sich an: dann wird mit Eisen und Blei auf sie geballert!

2.August 2009
Die Erkenntnis, dass nicht nur die anderen Dummheiten begehen, ist schmwerzlich aber unausweichlich.
Letzte Woche begleitete ich meine Schwester zum Zahnarzt, und während sie in dritten Stock einer Charlottenburger Bürgervilla das technisch höchstentwickelte Bohrprodukt in Reperoire von Dr. Steinbeißer erleben durfte, schlenderte ich über die weniger feinen westlichen Ausläufer des Kurfürstendamms. Als ein plötzlicher und heftiger Regenschauer niederging betrat ich ich einen wie zufällig am Wegesrand liegenden Baumarkt in der Absicht, mir so lange nützliche nie gesehene Werkzeuge und Accessoires anzusehen – freilich ohne sie zu kaufen – bis der Regen sein Werk vollbracht haben würde.
So stand ich gerade versonnen vor einem Regal mit vorgedruckten Hinweisschildern als ein freundlicher pickliger Verkäufer auf mich zutrat und mir seine Hilfe anbot. Der folgende Moment, in dem ich entschied, nicht einfach „ich schau mich nur um“ zu sagen, hätte mich fast 15 Euro gekostet.
So griff ich nach einem Schild mit der Aufschrift „Ausfahrt freihalten“ und hielt es dem Verkäufer anklagend hin. „Haben Sie dieses Schild auch mit dem Zusatz „Bitte“?“, fragte ich ihn. Auf sein irritiertes Lächeln hin setzte ich gleich noch einen drauf: „Ich finde dieses Schild sehr deutsch und unhöflich.“
Der Verkäufer räusperte sich. „Äh, nein, das haben wir nicht. Tut mir leid. Aber wissen Sie, unsere Kunden machen ja oft die Erfahrung, dass ein höflich formuliertes Schild nicht die gleiche Wirkung hat, wie eines, das einen barschen Befehl ausdrückt.“
„Nun,“ versetzte ich würdevoll, „das ist ja wohl vor allem eine Frage des persönlichen Stils.“ Ich wollte mich nun umdrehen, und den gedemütigten Verkäufer mit seinen klassenlosen Hinweisschildern aus der Unterwelt des Umgangstons traurig und beschämt zurücklassen voller Bewunderung für mich, den aufrechten Verfechter von Sitte und Anstand. Doch in diesem Moment trat ein weiterer Verkäufer auf uns zu.
„Ich war so frei, Ihr Gespräch mit anzuhören“, sagte er. „Mein junger Kollege kennt noch nicht unser ganzes Sortiment.“ Elegant und schneidig griff er hinter das letzte der „Aufahrt freihalten“-Schilder und zog zu meinem Entsetzen ein anderes Schild hervor, auf dem – allerdings auf schwarzem Grund – die Worte prangten „Bitte Ausfahrt freihalten“.
Er drückte es mir in die Hand und sah mich beifallheischend an.
Für einen Moment erwog ich, seinen Sieg anzuerkennen, und nun 15 Euro für ein Schild auszugeben, das erstens wegen seiner höflichen Ausdrucksweise keinen Effekt haben würde und zweitens auch keinen Einsatzauftrag erfüllen könnte, da ich keine Ausfahrt habe, um deren Freihaltung ich bitten könnte.
Ich verwarf den Gedanken: „Tut mir leid, der schwarze Grund ist leider ganz ungünstig für die Wand meines Haues“, sagte ich. „Aber vielen Dank für ihre Mühe!“
Ein trauriger Fall gescheiterter Selbstgerechtigkeit, den ich hier nicht verschweigen wollte.

26.Juli 2009
Ein aufdringliches Symptom unserer deutschen Borderline-Erkrankung ist unsere unangenehme Art der Anteilnahme: Wann immer irgendwo auf der Welt Deiche brechen, die Erde bebt, Autobahnbrücken einstürzen oder ein Tourist vom Hai gefressen wird, ist – das muss man ja zugeben – auch bei uns die Aufregung groß. Doch richtet sich unser Blick höchstens teilweise auf die Betroffenen. Vor allem aber suchen wir den Bezug jedes neuen Menschheits-Menetekels zu uns selbst. Bereits wenige Stunden nach den Tsunami im Indischen Ozean gab es die ersten Wortmeldungen, die ähnliche Wasserbewegungen auch für Nord und Ostsee keinesfalls ausschließen wollten. Und sobald im Sommerloch Meldungen über aufwallenden Haiappetit an Australiens Ostküste auftauchen, beäugen wir bereits argwöhnisch den in der Nordsee (selten) vorkommenden maximal 40 cm langen Katzenhai.
Als unlängst im häufig erdbebengeplagten Italien die Stadt L'Aquila unterging, richtete selbst ein seriöses Blatt wie die Süddeutsche Zeitung bereits zwei Tage später die Frage an einen Experten wie erdbebensicher eigentlich unser Teutonenland sei. Die gewichtig-sorgenvolle Antwort war natürlich, dass wir die Gefahr nicht unterschätzen sollten. Na gut, dann schlafen wir jetzt halt näher bei der Tür, man weiß ja nie!
Sind wir denn etwa eifersüchtig auf die Opfer von Unglücken – so wie der Einfaltspinsel Hans Castorp auf den Zauberberg die wirklich Kranken neidisch betrachtete, da er in der Krankheit die wahre Veredelung des Menschen sah?
Oder sind wir einfach nur unfähig, mit anderen Menschen um deren Schicksal willen traurig zu sein?
In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass Mexiko soeben seine Seegrenze ein gutes Stück zurückverlegen musste, weil bei einer Art Inventur aufgefallen ist, dass ein die Seegrenze bestimmendes karibisches Eiland zwar weiland von Kolumbus in die Seekarte eingetragen – und seitdem in jede neuere Karte übernommen – wurde, aber heute unauffindbar ist.
Für Mexiko ist dies mehr als ein Wehrmutstropfen, denn damit rückt ein unterseeisches Ölfeld von mexikanischen in internationale Gewässer.
Und während in der ganzen Welt unterdrücktes Gekicher über die Inselzählung zu hören sein dürfte, tun wir Deutschen, was wir in dieser Situation tun müssen: Rein in den Kutter und nachzählen, ob die Ostfriesischen Inseln noch alle da sind.

19. Juli 2009

Ein Hummelchen liebt Blumen, die bunt sind.
Und es hat staubige Beine wie'n Schmutzfink.
Es bewegt sich mit Grazie und Anmut,
wie das auch ein Elefant tut.
Das Hummelchen und ich, wir haben,
viel gemeinsam – bis auf den ersten Buchstaben.


12.Juli 2009
Dem Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung war in dieser Woche eine Studie zu den Wirtschaftskenntnissen der 17 bis 24 Jährigen einen Artikel nebst Kommentar auf der ersten Seite wert. Dabei gaben 90 Prozent der Befragten an, sie rechneten sich gute oder sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt aus. Gleichzeitig konnte nur etwa die Hälfte zutreffend das Gesetz von Angebot und Nachfrage erklären oder erläutern, was Inflation ist.
Unter dem Titel „Sie wissen nicht, was sie tun“, befand die Autorin, dass der Optimismus der Jugend nicht von Sachkenntnis getragen sei. Die obligatorische Forderung nach dem Schulfach Wirtschaft schloss sich an.
Ein Wirtschaftswissenschaftler, der mit dem Optimismus der Jugend konfrontiert wird, muss sich fühlen wie ein blutrünstiger Feldherr, der nach tagelangem Dauerfeuer auf die feindliche Armee feststellen muss, dass sich da immer noch jemand bewegt.
Optimismus für ihn ist Befehlsverweigerung und Dummheit noch dazu.
Aber ist Optimismus nicht sogar den Lehrbüchern zu Folge die Voraussetzung für neue Wirtschaftstätigkeit? Und ist das Gesetz von Angebot und Nachfrage nicht ohnehin neu zu schreiben in Zeiten, in denen kein Mensch mehr Aktien von Banken und deren Schrottpapiere kaufen will, der Staat diese Dinge aber bereitwillig aufkauft?
Die Studie ist ein persönlicher Affront. „Seit Jahren schreib ich, dass es keine Hoffnung gibt – und habt das offenbar nicht mal gelesen!“ Die Erkenntnis, dass es nicht gelungen ist, eine weitere Generation miesepetriger, lebensfeindlicher Wohlstandsbundesbürger in die Welt zu setzen, mag hart für die einen sein. Und vielleicht die Rettung für alle anderen.



5.Juli 2009
Seit dieser Woche macht mir ja die Steuerdiskussion Angst: Eigentlich wollte niemand außer der FDP mit der Behauptung in den Wahlkampf ziehen, nach der Wahl würden in nennenswertem Umfang Steuern gesenkt. Auch die CDU nicht, denn Konservative können rechnen.
Doch dann hat Horst Seehofer mal nachgezählt, mit wie vielen zentralen Wahlaussagen die Union eigentlich in den Wahlkampf ziehen will. Und weil auch Horst Seehofer rechnen kann, kam er mutmaßlich nach längerem Grübeln auf höchstens eines: Angela Merkel muss Kanzlerin bleiben. Da dieses qualitativ höchstwertige Personalangebot unter den Gegnern der Union noch mehr Anhänger hat als in CDU und erst recht CSU selbst, besann sich der bayerische Ministerpräsident darauf, auch noch eine Kamelle fürs ganze Volk ins Repertoire zu nehmen.
Und weil eine schlechte Idee in der Union nicht als solche benannt werden darf, wenn sie von der CSU kommt (vermutlich hat man Angst, dass aus der CSU noch eine waschechte Separatistenpartei wird und sie sich im EP der neuen Torie-Fraktion anschließt), steht es jetzt im Wahlprogramm der Union: Steuersenkungen in der nächsten Legislaturperiode!
Das Verfahren in Sachen Wahlversprechen ist ja immer recht ähnlich. Die kühne Ankündigung von Flat-Taxes, unfassenden Unternehmensentlastungen, drastischer Senkung der Sozialbeiträge, „zukunftssicherem“ Umbau der Rentenversicherung etc. wird ausgesprochen, muss dann aber „leider Gottes – und wir haben natürlich gekämpft wie die Löwen“ auf Grund „des unvernünftigen Widerstandes des Koalitionspartners“ oder „wegen der unerwartet drastisch dramatischen Finanzlage“ aufgegeben werden.
Als Wähler wird man ja ungern belogen. Doch sollten wir uns diesmal in Milde üben: Weit schlimmer als ein Bruch dieses Versprechens wäre es, wenn die Union Ernst macht und nach der Wahl die Steuern senkt.
Wie es dazu kommen kann? So absurd ist es nicht. Die Union ist in der Lage eines kleines Kindes, das mit der Schere in der Hand vor dem echten Picasso seiner Eltern steht und dem der Vater in umgekehrter Psychologie zubrüllt: „Das traust Du dich nicht.“ Das Kind muss sich jetzt entscheiden zwischen einem Schnitt in Ehre ins teure Bild oder einer tränendurchfeuchteten Kapitulation.
Die Union ist eine konservative Partei: Unvernunft in Ehre hat für ihre Anhänger viel mehr Adel als klein beizugeben. Die Ausrede, der Koalitionspartner wolle nicht, wird mit der FDP nicht offenstehen – die FDP ist jederzeit bereit, das Gemeinwesen zum Wohle der „Leistungsträger“ auszuplündern. Auch die Ausrede, man habe um die drastische Lage zum Zeitpunkt des Versprechens nicht gewusst, wird nichts gelten, denn bereits heute ist bekannt, dass nach der nächsten Legislaturperiode 500 Milliarden Euro mehr Schulden da sein werden als heute.
Nein, die Gefahr von Steuersenkungen ist gegeben – wenn nicht wir Wähler in einem letzten Akt der Vernunft dem Wahnsinn Einhalt gebieten oder – wenn es denn sein muss – nicht mehr darauf pochen, dass Wahlversprechen auch eingehalten werden.

Und wenn das alles nichts bringt? Wohlan, Kinder der späten Geburt, spart für hohe Zinsen oder für die Republikflucht!


28.Juni 2009
Wenn man in kurzer Folge Bilder von Profisportlern im Anzug in der Zeitung sieht, ist das für einen Menschen, der gern lacht, so etwas wie für einen schlafenden Hund, dem man eine Wurst unter die Nase gelegt hat: Zeit aufzuwachen.
Nun spricht grundsäztlich nichts dagegen, dass auch Sportler sich im berufsfremden Gewandt zeigen. Gerade wenn Sportler etwas besonderes gewonnen haben, ist dies sogar sehr üblich und vielfach auch von ansprechender Ästhetik. Doch sind heuer die Pokale der Saison längst verteilt, und wenn dennoch Profifußballer geschniegelt und gestriegelt mit Textbeiträgen bei öffentlichen Veranstaltungen auffallen, so gilt es hinzuhören:
Vor zwei Wochen trat Christoph Metzelder – derzeit in Diensten von Real Madrid – ans Pult der Humboldt-Universität zu Berlin und referierte im Auftrag der Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“ über Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Wettbewerb. Es war dies nicht das erste Mal, dass Metzelder mit einen mehr intellektuellen als sportlichen Beitrag in Erscheinung trat: Während des „Sommermärchens“ 2006 wurde er durch druckreife Erläuterungen zum deutschen Nationalbewusstsein zu so etwas wie Philipp Jakob Siebenpfeiffer für das Hambacher Fest 1832. Doch während Metzelder 2006 vollkommen den Nerv der Zeit traf und dem millionenfachen Verkauf schwarz-rot-goldener Autofähnchen die lange begehrte moralische Grundlage schuf, war er mit seinem Beitrag an der Humboldt-Uni nicht ganz auf der Höhe. Die noch vor Jahresfrist gängigen Allgemeinplätze der Betriebswirtschaft sollten, wenn man ihre Richtigkeit denn auch noch für heute unterstellen will, vielleicht von einem glaubwürdigeren Repräsentanten als Metzelder neu belebt werden. Metzelder verkörpert mit einer hohen Grundvergütung und weiteren Boniregelungen bei Real Madrid den soeben überlebten Typus „Großbanker“ ganz beispielhaft - mit ganzen 15 Einsätzen in der Saison 2008/2009 vielleicht sogar eher den Typus „HRE-Banker“.
Dass er aber im Anzug eine gute Figur macht, soll damit nicht abgestritten werden. Mancher gut aussehende Mann wird durch ein überhebliches Lächeln gleich noch attraktiver. (Studienfach Betriebswirtschaftslehre, Spezialisierung Oliver Bierhoff)

Allerjüngst referierten nun Jens Lehmann – häufig missverstandener Traumfänger des Sommermärchens – und Jörg Stiel – schweizer Niederrheinländer mit Haupthaar bis zum Allerwertesten – auf dem goalkeeper congress in München über die Entwicklung des Torwartberufes. Nun wissen wir ja bereits seit 2006, dass Lehmann ein „moderner Torwart“ ist und schon aus diesem Grund im fraglichen Jahr das Tor hüten durfte. Auf dem Torhüter-Kongress erläuterte Lehmann, dass Konzetration das wichtigste für einen Torwart sei. England habe übrigens deshalb so schlechte Torhüter, weil Fußballbegabungen dort früh die Schule verließen – und damit die Ausbildung ihrer Konzentrationsfähigkeit unterbliebe. Stiel sekundierte, dass eine Torwart heute nur noch 15 % seiner Arbeit mit den Händen erledige. Über diese bemerkenswerte Statistik kann man natürlich staunen. Unterhaltsamer ist indes, sich vorzustellen, wie sie eigentlich erhoben wurde...
An dieser Stelle mag man einwenden, dass weder Lehmanns noch Stiels Beitrag den Spott wirklich verdienen. Grundsätzlich mag das sein (Auch wenn sich Lehmann und Köpke erneut mit „dem Zettel vom Viertelfinale“ – inzwischen gerahmt – haben fotografieren lassen. Das wird vermutlich nie langweilig.). Wer aber ein Herz für Komik hat, den macht allein schon die Tatsache eines Torwart-Kogresses glücklich. Ebenso wie die Vorstellung, wie die Herren Lehmann und Stiel – gern auch im Anzug – einem aktuellen Brachenprimus wie Tim Wiese – die stets gut gebräunte Mucki-Schönheit aus dem Werder-Tor – ihre Überlegungen zur möglichst langen Schulbildung und 15% Regel nahe bringen.
Zwischen Buddhafiguren, Flipcharts, Positionsspielerkongressen und Statistikauswertung wird klar: Fußball ist – entgegen aller Annahmen – nicht das Spiel für Jungs, die rennen, schießen, rotzen und schreien, sondern in Wahrheit doch für Intellektuelle, Schwule und Frauen.
Sorry Tim.