Ein Sabbatjahr

Ist Spott nur der Ausdruck eines clever formulierten Neides? Nur die aus einer Niedrigkeit des Charakters motivierte Herabsetzung engagierter Leute?
Vielleicht! So ernten ja gerade solche Menschen viel Hohn, die sich in einer herausgehobenen Position befinden. Ob das Wahlvolk, die Medienwelt, der Massengeschmack oder eigenes Profilbewusstsein einen Menschen für mehrere Andere sichtbar macht ist nicht wichtig: ab dem ersten Moment noch so geringer Prominenz – und sei es nur als Klassenstreber – muss der Prominente die Reaktion der Öffentlichkeit aushalten. Ob sie ihm angenehm ist oder nicht.

Es vergeht kein Tag an dem ich nicht empfinde, dass eine Vielzahl von Menschen Spott verdient: Jungpolitiker, Künstler, Altpolitiker, Journalisten, Vorgesetzte, Nachbarn, Kollegen.
Ich werde mich bemühen in kurzen sonntäglichen Reflektionen keine notwendige Ernsthaftigkeit mit Spott zu verletzen, wohl aber anhand ausgewählter Beispiele zu verdeutlichen, was gerade für Mitglieder einer wohlhabenden Gesellschaft doch so offensichtlich sein sollte:

Das Leben ist viel lustiger als man denkt!

Daniel Mayer-Gossing im Juni 2009

(feedback ist mir natürlich willkommen: tadelndes, polemisches und natürliches lobendes unter daniel @ mayer-gossing.de)

15. Mai 2011

Man muss wissen, wann es Zeit ist, aufzuhören. Guido Westerwelle brach unlängst - wohl ohne dieses Wissen -  zu einer Asienreise auf. Wieder daheim fand er einen Zettel, auf dem getragene Abschiedsworte ablesefertig vorformuliert waren. Die hat er dann vor der Presse verlesen.
Helmuth Kohl, Michael Schumacher, Otto Walkes: auch sie haben nicht gewusst, wann Schluss war. Kohls Ende ist das Bild von einen Berg von jammernder Selbstgerechtigkeit, Michael Schumacher wirkt heute auf Rennstrecken wie ein Fahranfänger aus Finsterwalde, der in den Großstadtverkehr geraten ist. Und Otto Walkes: der ungebrochene Erfolg des Komikers belegt entweder, dass sein Publikum auch nach 30 Jahren keine anderen Witze hören will als 1980 oder –- wahrscheinlicher - –, dass Walkes die Karten für seine Auftritte im gleichen Vertriebsschema verkauft wie die die Deutsche Bahn ihre BahnCard und die CSU ihre Parteimitgliedschaft: als geistig-intellektuell verbrämtes jahrzehntebindendes Abonnement, aus dem es kaum ein Entkommen gibt.
Ich bin kein Westerwelle, kein Kohl, kein Schumacher. Mein Publikum war klein und erlesen. Zwei Jahre habe ich ihm von meinem Traum erzählen dürfen, dass es Dinge gibt, die ich besser kann als die Juristerei. Aber der Traum ist vorbei. Ich will keiner von hunderttausenden modischer Blogger sein, die einen geistreichen Gedanken im Monat in Worte gießen und quasi als umgebendes Dekor eine gefällig-wortreiche Flatulenz hinzufügen und das ganze in der Erwartung ehrerbietiger Rezeption beim Publikum online darbieten. Nein, das will ich nicht. Und wenn ich es schon war - dann will ich nicht, dass mir das jemand sagt.
Ich will wie Spargel sein:
Ich habe den deutschen Spargel schon länger im Verdacht, so etwas wie der Tröster der Nation zu sein. Neun Monate freut man sich auf ihn, man kauft den ersten, ob wohl er teuer ist, man kauft den letzten, obwohl er holzig ist.
Spargel bewiest, dass ein Sprössling deutscher Erde nicht zwangsläufig wie Altmetall an Pestiziden schmecken muss, sein Bauch ist zart und doch hat er alles im Kopf.
Und – wenn die Saison vorbei ist, hat man jedes Jahr das Gefühl, lange nicht so viel Spargel gegessen zu haben, wie man sich vorgenommen hatte.
Und Spargel ist sensibel: wenn die Nation traurig ist -– und das ist sie ja meistens –- erfährt das Jahr seine Wende zum Guten wenn ein von der Arbeit schmutziger Spargelstecher in den Nachrichten im Dritten Programm sagt: „“Ein sehr guter Jahrgang, wirklich sehr gut...“.“ Wenn die Nation aber fröhlich ist, so bleibt auch der Spargel bescheiden, weil er erkennt, dass er – derzeit – nicht gebraucht wird. So verhält es sich dieses Jahr, wo die Arbeitslosigkeit sinkt, alle glücklich wie die Schneekanzlerinnnen sind wegen des Endes von Bin Laden und sich auf die Frauen-WM freuen, weil WIR die ja endlich mal gewinnen werden: der Spargel und ich haben nicht unsere beste Saison, weil man unserer nicht bedarf.
Aber stereotypes Weltgeschehen, ick verlass' ma auf Dir. Die nächste Krise kommt bestimmt. Und dann sind Super-Daniel und Super-Spargel wieder da, um alle glücklich zu machen. Ich 200 und der Spargel den Rest!


10. April 2011

Wer mir böse will, der kann sagen: „"Dem macht doch sowieso nichts länger als zwei Jahre Spaß. Dann sucht der sich den nächsten Spielplatz."“
Aber ich sehe keine Alternative. Der in mir lebende Schalk ist zur Kur - und merkwürdiger Weise noch nicht zurückgekommen. Meine Inspiration ist den Schalk suchen gegangen -– und auch noch nicht wieder da.
Da die beiden - nach meinem Mann - das teuerste sind, was ich habe, werde ich sie suchen müssen. Ich fürchte, die zwei verstecken sich in den Wäldern der Ernsthaftigkeit und den Dschungeln der Seriosität. Möglicher Weise sind sie dort verrückt geworden und haben mit eingeborenen Beamten ein kleines Königreich gegründet... Tief hinein in diese mir fremden Welten werde ich vordringen müssen und wie der Fotograf von Fukushima aufpassen, dass ich keine zu hohe Dosis abbekomme.
Aber bevor ich aufbreche, verspreche ich mir noch einmal Mühe zu geben: am Sonntag den 15. Mai 2011 erscheint (im Vorprogramm der der rolling stones, diese wiederum im Vorprogramm der Puhdys) mein vorerst letzter Beitrag auf www.mayer-gossing.de. Wer weiß, vielleicht finde ich Schalk und Inspiration schon in den nächsten zwei Wochen auf Sizilien.

3. April 2011

Der Waldrapp ist ein Vogel, der sehr unansehnlich geboren wird, und zu dem das Alter auch nicht gerade gut ist. Dies ist bei uns fast unbekannt, was vor allem daran liegt, dass die Deutschen des 17. Jahrhunderts den Waldrapp – sei es aus einem Hungergefühl, sei es aus einer ästhetischen Protesthaltung heraus – fast bis zur Ausrottung verspeist haben. Die letzten Exemplare müssen sich an einen Ort geflohen haben, an dem sie weder eine akute Lebensmittelknappheit beheben mussten noch optisch nennenswert unangenehm aufgefallen sind. Der Heimatort der CSU-Bundestagsaltlast Norbert Geis könnte eine solche Adresse gewesen sein. Wie dem auch sei, im Konzert der guten Nachrichten unserer Tage ist die Rückkehr des Waldrapps in den Deutschen Wald eine leise hörbare Note. Leise und im Schatten glamouröser Wildtiere wie Wolf und Luchs und Norbert Geis findet auch der Waldrapp wieder Gefallen am Sausen über deutsche Wiesen und Suhlen und im deutschen Schlamm. Der Waldrapp hat dabei aber ein Problem: die lange Entwöhnung vom wahren Wildleben hat seinen inneren Kompass zerstört: er findet den Weg in sein Winterquartier in der Toskana nicht mehr (so ist es nachzulesen im DB-Magazin mobil: jetzt runderneuert und zeitgemäß mit einem guten Schuss Deutchlandliebe. Vergleiche das Vorwort von Rüdiger Grube!).Dieser Sachverhalt – ich räume es ein – zerstört meine Annahme, der Waldrapp habe sich längere Zeit in einer bayerischen Kleinstadt aufgehalten. Wenn es so wäre, würde der Waldrapp den Winterweg in die Toskana im Schlaf finden! Und hier setzt meine neue berufliche Vision an: Darf ich vorstellen: Daniel Mayer-Gossing, Lehrer des Waldrapp. Fliegen kann er ja, der Waldrapp und ich zeige ihm, wo's lang geht. Ich sehe mich am Ruder einer Cessna, hinter meinem Flugzeug acht keuchende Waldrapps an Hundeleinen. „Da lang, ihr Waldis!“ rufe ich und zeige mit dem Finger auf die dunstige Silhouette der Alpen. „Wer zuerst da ist, darf Otto Schily ein Häufchen auf die Terrasse setzen!“Gleich morgen melde ich mich beim Ministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit als Freiwilliger.

27. März 2011 

TV-Zappen am Wahlabend

ZDF: Nils Schmid grinst etwas unvorteilhaft und sagt, er werde in der neuen Regierung der Garant für Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit.

ARD: Julia Klöckner findet: „Achtungserfolg?? Ich bitte Sie. Wir sind mit der SPD auf Augenhöhe. Auf Augenhöhe!!!“ Unwillkürlich frage ich mich, was Miss Piggy nach dem Ende der Muppet-Show eigentlich beruflich macht.

N-tv: Eine etwas schlecht vorbereitete Karla Kolumna bittet Winfried Kretschmann, doch mal seinen Namen zu buchstabieren. Er ist gerade bei „R“ Hoffentlich ist das schon der Nachname...

SWR: Nils Schmid erklärt, er werde der Garant für Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit sein und während er das sagt, geht das Bild kurz weg. Die Ästhetik ist doch wehrhafter als man denken mag.

ZDF: „is kei Niederlag“, findet Kurt Beck.

ARD: Daniel Bahr wünscht sich für seine FDP eine „personelle und inhaltliche Neuaufstellung“ und „nein“, das müsse doch nicht in jeden Fall mit Westerwelle zu tun haben.

N-tv: „K“ sagt Kretschmann. Verdammt, das war vorhin doch erst der Vorname.

ARD: „In der neuen Regierung werde ich der Garant für Wirtschaft und … na ...“ Wir wissen es doch! „...soziale Gerechtigkeit sein!“ Schmid lächelt stolz und ausladend und ich wünsche mir, dass endlich jemand die Grün-roten die Frage nach Ross und Reiter stellt.

SWR: Muhamar al-Gaddafi findet im SWR-Talk mit Reinhard Mey, dass die jüngeren Ereignisse... Was? Ach nein, es ist nur Helge Schneider. Mann sehen die sich ähnlich.

N24: Eine Blode diskutiert die Wahl mit Peter Bond und Pierre Littbarski. Mal sehen, wie weit Kretschmann ist.

N-tv: „N“. Juchuh!

ARD: Mappus sieht aus, wie ein todtrauriges Barockengelchen und ganz kurz tut er mir ein bisschen leid. Damit dieser Gedanke so schnell nicht wieder kommt, beschließe ich den Abend mit einem großen Glas grüner Silvaner.

20. März 2011

In Berlin treffen sich ein Zen-Meister und Michel. Beide kennen sich von gelegentlichen Geschäftsessen und freuen sich, einander zu sehen:
Michel: Na, alter Zen-Meister. Wie geht's, wie steht's?
Zen-Meister: Sehr gut, danke. Hast vielleicht gehört, dass wir ein bisschen Schwierigkeiten mit der Energie haben, aber das wird schon wieder.
Michel: Ach, bestimmt! Aber wegen Brokdorf mache ich mir ja schon Sorgen...
Zen-Meister:Kann ich gut verstehen. Und sonst so?
Michel: Es ist furchtbar: Mein Eisbär ist tot!
Zen-Meister: Wie gräßlich!
Michel: Ja, neulich stand er noch aufrecht und futterte diese leckeren Haribo und sah so niedlich aus...
Zen-Meister: Manchmal geht es schneller als man denkt.
Michel: Außerdem lerne ich jetzt Japanisch.
Zen-Meister: Ich fühle mich sehr geehrt.
Michel: Ja, ich will nämlich endlich mal wissen, was ich mir da habe eintätowieren lassen.
Zen-Meister: Zeig es mir doch einfach.
Michel: Geht nicht, ist auf meinem Arsch tätowiert.
Zen-Meister: Ich fühle mich nicht mehr ganz so geehrt, freue mich aber immer noch über Dein Interesse an meiner Kultur.
Michel: Und wann lernst Du mal Deutsch?
Zen-Meister: Ich habe lange Jahre auf den Deutsch-Unterricht verwendet. Aber ich wusste mich dennoch nie richtig verständlich zu machen. Daher habe ich mir jetzt einfach eine Auto-Hupe gekauft.
Michel: Ein nationales Symbol! Ein guter Kauf: das Gedanken-Cluster unkanalisierter Emotionalität und wertvoller Ausgleich unserer mangelnden Eloquenz. Und – wie sind die Erfahrungen.
Zen-Meister: Von Anfang an großartig: Und ich werde immer besser: Wo ich anfangs beim Fleischer für einmal Hupen nur eine Scheibe Mortadella bekommen habe, kann ich heute schon den Satz „Ich möchte eine Rostbratwurst“ im Konjunktiv des Futur II hupen. Hör mal.
(hupt)
Michel: Toll.

13. März 2011

Meine These, dass das Leben lustig ist, schmilzt dieser Tage wie das AKW Fukushima. Ich habe daher erwogen, ein Lach-Moratorium aufzusetzen - für etwa drei Monate. Doch dann habe ich am Samstag meinen Einkaufwagen im Bio-Supermarkt versehentlich in einen Wollberg gefahren. Als er vernehmlich ächtze, rief ich erschrocken: "Potzblitz, ich habe ein Lama angefahren!" Doch der Wollberg entpuppte sich als eine Dame unter einem filzigen Pocho, die mir mit einer Beleidigungsanzeige drohte. Ich entschuldigte mich pflichtschuldigst und versicherte ihr, ich hätte mit Sicherheit soeben noch ein Lama gesehen - man könne es sogar noch riechen -, und hätte sie nun gewiss verwechselt. Doch dann bemerkte ich, dass der Pocho auch die Quelle für den Geruch war, äußerte dies und bekam von der Dame eine Ohrfeige. Deshalb bin ich - trotz Fukushima - schon wieder ein bisschen fröhlich!

6. März 2011

Ich glaub', es geht schon wieder los.

„Aber dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt,“ sagt der neue Innenminister.

„Doch“, findet die Justizministerin, „der Islam gehört selbstverständlich zu Deutschland.“

„Hmm“, macht der hessische Ministerpräsident, „das muss man ja differenziert sehen.“

„Also“, sagt der Innenminster, „während der Regentschaft Bismarcks gab es höchstens zwei Minister muslimischen Glaubens. Vielleicht weniger.“

„Das kann doch keiner leugnen“, sagt Frank Henkel.

„Wer ist den Frank Henkel?“ sagen sicher viele.

„Henkel ist, was Steffel mal war. Und Frank heißen sie beide“, grinst Klaus Wowereit.

„Und was weiß der über den Islam und das Leugnen?“ fragt man dann.

„Nichts natürlich. Aber er hat schon lange nichts mehr gesagt. Sonst noch wer?“

„Der Islam ist... und Deutschland natürlich auch! Aber das ist gar nicht so schlecht,“ sagt Horst Seehofer.

„Du bist Deutschland. Aber wer bist Du?“, sagt Günther Jauch.

„Islam und Deutschland ist besser als Friedrich und Guttenberg“, sagt Renate Künast.

„Die gesellschaftliche Debatte über den Islam gewinnt an intellektueller Brisanz“, findet die ZEIT.

„Ich werde heute Sellerie-Knollen kaufen“, sagt Angela Merkel.

„Die Tradition des Deutschen ist im Islamischen weniger ausgeprägt als umgekehrt. Aber das kann man sicher nicht verallgemeinern“, trällert Guido Westerwelle.

„Gerade die frühe wissenschaftliche Tradition des Islam hat Deutschland bereichert,“ sagt zu Guttenberg.

Vergesst Euren Text nicht, Leute. In zwei Wochen könnt ihr bestimmt wieder brauchen.

27. Februar 2011

Manch fortgeschrittene Stunde gewährleistet die Unterscheidungskraft nicht mehr, ob man sich mit Ruhm oder mit Rum bekleckert hat.
Noch-Immer Verteidigungminister Nicht-Mehr Dr. zu Guttenberg hat ersteres in seinem Promotionsverfahren wohl nicht getan.
Die Universität Bayreuth – bei gleicher Gelegenheit – auch nicht!
„Summa cum laude“: das darf man sich auf der Zunge zergehen lassen. Es handelt sich um das höchste akademische Lob, das die Universität für das Werk Guttenbergs vergeben hat.
Und jetzt ist der Aufschrei der Intellektuellen groß: Verrat an der Forschung! Arschtritte für die Ideale Humboldts! Exellenzinitiativen werden konterkariert!
Das ist alles wahr.
Aber es war nicht die heute den Rauswurf des Kopiermeisters verweigernde Angela Merkel, die Guttenberg mit dem akademischen Hochadel dekoriert hat, sondern die Universität Bayreuth. Das wirft ein unschönes Licht auf den universitären Forschungsbetrieb, dessen Protagonisten sich offenbar bereitwillig mit wohlklingenden Komplimenten für die gegenseitige Geisteskraft dekorieren.
Warum Guttenbergs Werk über jede Kontrolle erhaben war? Man kann nur spekulieren. Aber lassen wir zu Guttenberg abschließend doch selbst zu Wort kommen mit einem humorigen Auszug aus seiner Arbeit (Seite 51), die dem Spott, den ihre Korrektoren heute verdienen, sinnbildlich vorgreift:
„Europa als Gedanke, Gewissheit und Realität könnte, am Ende dieser Stufenleiter angelangt und auf dem Wege zur Tradition, zum Scheitelpunkt zwischen Konservatismus und Moderne werden, der weder die Option der Gradwanderung noch die Gelegenheit der Verbindung jener Elemente auszuschließen vermag“. Klangvoll, schöngeistig, prätentiös – sinnfrei.

Summa cum laude!

20. Februar 2011

 Als die Eltern von Karl-Theodor zu Guttenberg sich für die Vornamen ihres Sohnes entschieden, warfen sie dem Zeitgeist beherzt den Federhandschuh hin. Man muss neidlos anerkennen, dass sie dieses Duell wider Erwarten und doch ohne Mühe gewonnen haben. So wurde die Adel wieder zum Ideengeber einer neuen Zeit und hinter seinem Banner versammelt sich eine wachsende Schar von Ludwig-Samuels, Henrietten, Anne-Sopien und Heinrich-Gunthers.
Dieser Tage indes mögen sie bedauern, ihren Sohn nicht „basisnäher“ getauft zu haben. Hieße der pomadige Junior-Minister nämlich beispielsweise Detlef-Rainer oder Didi-Rollo könnte er sich trotz der Entdeckung von „Strg+C“ unbescholten weiter nennen wie bisher: DR zu Guttenberg.

Nur um die Sache bunt zu machen – nicht wegen des inhaltlichen Bezuges – sei noch erwähnt, dass die aktuelle Affäre die Doktorarbeit des Ministers vor ihrem wohlverdienten Schicksal bewahrt hat, nämlich von ganzen 10 Personen überhaupt nur gelesen zu werden: Erst- und Zweitkorretor und weiteren acht Personen, die das Werk nur versehentlich auf der Suche nach der Gutenberg-Bibel aus dem Regal genommen haben.
Und überhaupt: Wie stelle ich mir denn einen ruhenden Doktortitel vor?

13. Februar 2011

Ein paar Hinterbänkler der Unions-Bundestagsfraktion haben diese Woche den Plan ausgegraben, Ägyptens Ex-Präsident Mubarak das deutsche Exil anzubieten.
Da die Union dem Zuzug von Ausländern bekanntermaßen vorsichtig gegenübersteht, habe ich mich gefragt, was es mit diesem Vorschlag auf sich hat.
Einerseits wird in der Union ja die Zuwanderung Höchstqualifizierter geschätzt (ja, ja, der „Kampf um die besten Köpfe“). Kann es sein, dass Mubarak etwas kann, was hier sonst keiner kann? Sich 30 Jahre an der Macht zu halten hat noch nicht mal Helmut Kohl geschafft. Braucht die CDU Mubarak etwa als Minister, weil sie im Inland kein qualifiziertes Personal mehr findet, das nicht gegen die Strahlkraft von Baron Guttenberg abstinken würde?
Andererseits könnte (deutlich vernünftiger) ein klares fiskalisches Kalkül dahinterstecken: Wenn Mubarak seine Kapitaleinkünfte – und sei es nur mit dem Abgeltungssteuersatz – in Deutschland versteuert, können wir uns endlich diese prima Brücke über Österreich hinweg direkt nach Italien leisten, von der wir schon so lange träumen.
Oder wünscht sich Angela Merkel heimlich zum Geburtstag einen Setzkasten oder eine Art Panini-Album mit ausrangierten Staatschefs, die sie dann mit ihren Kollegen wie Sammelbildchen tauschen kann? („Willst Du Mubarak für Gadafi und Lukaschenko, Nikolas?“)
Trotzdem sollte man vorsichtig bleiben: Wenn die Ägypter Mubarak tatsächlich hier abliefern, wollen sie bei der Gelegenheit sicher Nofretete zurückhaben, denn mehr als einen Herrscher gibt man ja nicht nach Deutschland zur Verwahrung. Und vor so einem Tausch sollte man doch noch einmal in sich gehen...

6. Februar 2011

Bis letzte Woche habe ich geglaubt, dass die Worte, die ich am meisten hasse, jene klanggewordenen Boten der Moderne seien, wie „runtergebrochen“, „gut aufgestellt“, „verhandlungssicher“ oder „zukunftsfähig“.
Diese Annahme war falsch. Das übelste aller Worte ist ein Klassiker der deutschen Sprache, der zersetzend im Verborgenen wirkt. Er ist unauffällig - jedenfalls so lange bis er sich nicht zu häufig zeigt. Dies jedoch geschah letzte Woche:
„Oh-oh“, sagte der Möbelpacker als er die zwanzig Säcke mit Kleidung sah. „Oh-oh“, sagte sein Kollege als zwei fremde Wagen in der Halteverbotszone des Umzugswagens standen. „Oh-oh“, sagte der Installateur, als er den Zulauf zur Waschmaschine begutachtete.
„Oh-oh“! Ein kurzes Oh, Luftausstoß ansetzen, dann ein langes Oh. „Oh-oh“. Diese Formulierung will ausdrücken, dass der Sprecher ein Problem erkannt hat, mit dem er nicht gerechnet hat und für das ihm zunächst keine Lösung einfällt.
Und genau deshalb hasse ich das Wort „Oh-oh“, jedenfalls dann, wenn es von Leuten kommt, die ich bezahle, um mir zu helfen. Wenn ich die Dinge, für die ich sie bezahle selbst tun könnte, würde ich niemands Hilfe brauchen. Weil ich diese Hilfe aber doch brauche, will ich mich in den zuverlässigen Händen von Vollprofis wissen, ich will vertrauen dürfen und ich will kein „Oh-oh“ hören.
So ist mir schließlich der Kragen geplatzt, und ich habe zu dem Möbelpacker, den seine Kollegen „Schnulli“ nannten gesagt: „Oh-Oh ist mir egal. Melden Sie sich bei mir, wenn's ein „Oh Scheiße“ geworden ist.“
Es ist dann übrigens noch alles gut gegangen. Die Oh-oh's haben sich aufgelöst, die Säcke wurden transportiert, die Waschmaschine bekommt Wasser, die fremden Autos wurden abgeschleppt, ich habe der Spielekonsole, die ich endlich gekauft habe, den Gerätenamen „Schnulli“ gegeben und endlich meine Feindschaft zu modernen Worten überwunden.
Die Klassiker sind viel schlimer.

30. Januar 2011

Und doch gibt es die Tage, die sich über Freude und Komik legen wie Deckfarbe über ein Kindergemälde an der Wand. Ohne Gegenwehr muss der Spaß erkennen, dass er heute die Luft zum Atmen nicht hat, dass heute seine entfernten Verwandten Hader und Elend auf dem Parkett tanzen dürfen, das der Spaß nur so ungern räumt.
Und weil er dabei nicht zusehen will, zieht der Spaß sich zurück, löst sich buchstäblich auf, um noch nicht einmal vorsichtig auf sich aufmerksam zu machen. Und weil ich weiß, dass er sensibel ist, murmele ich ihm noch ehe er im Finstern ganz verschwunden ist leise zu: „Komm bald wieder. Du wirst mir sonst sehr fehlen! Haltet ein, ihr Uhren…“


23. Januar 2011

Der Auftrag des Internet ist in aller Regel kein sehr edler: die Suche nach dem ruchlosesten Umgang mit fremden Urheber- und Markenrechten findet jede Woche neue Helden, die Versorgung der Bevölkerung mit Pornographie jeder Art ist gewissermaßen das Blut in den Adern des Internet und Online-Shops ersparen uns endlich den mühsamen Weg ins Geschäft und den Verkäufern den Weg zur Arbeit.

(Wer sich an dieser Stelle fragt, warum der Autor dieser Zeilen seine erhebenden Gedanken denn dann in diesem Sündenpfuhl veröffentlicht, der sei daran erinnert, dass einer meiner Vorfahren schon einen kleinen Bioladen im antiken Gomorrha eröffnet hat. Tradition verpflichtet!)

Selbstverständlich haben die hochwertigen Leistungen der immer noch ehrenwertesten Berufe unserer Gesellschaft im Netz nichts verloren: weder Rechtsrat noch medizinische Hilfe sind im Netz erlaubt, da sie ihre kundige Kraft nach wie vor nur entfalten, wenn sie direkt aus dem Munde des Weisen kommen.

Dabei könnte alles so schön sein: Man beantwortet 30 Standart-Anamnesefragen im Muliple-Choice-Verfahren und bekommt dann seine Diagnose. Hinterher könnte man sagen: „Laut www.guterdoktor.de habe ich eine Milbenallergie und einen Leistenbruch. Aber ehe ich jetzt in die Online-Klinik gehe, hole ich mir noch die Meinung vom Heilpraktiker bei www.bluetendoktor.de.“

Freilich – wer heute schon geschickt googlet, bekommt seine Online-Diagnose. Ein wahres Eldorado für Hypochonder wie mich und ein Alptraum für Ärzte, die vom Patienten schon mit einer fertigen Diagnose in der Hand aufgesucht werden. Bis letzte Woche hatte sich noch keine meiner Online-Diagnosen bewahrheitet. Und was die eine angeht, die nun richtig war – so hoffe ich optimistisch auf das zweiwöchige Rückgaberecht, das für alles gilt, was man sich aus dem Internet beschafft.

16. Januar 2011

Ich habe Wandfarbe gekauft und dafür einen OBI-Markt aufsuchen müssen. Ich gehe selten in Baumärkte und so sind sie für mich bis heute eine fremde Welt geblieben. Da ich ja verstehe, was die Gesellschaft mit Ihrer Forderung nach Integration in fremde Kulturen erreichen will, habe ich meinen Kleiderschrank nach einem Blaumann und farbverschmierten Schuhen durchsucht. Erfolglos.

Dann würde ich mich wenigstens sprachlich vorbildlich zeigen. Ich notierte mir die wichtigsten Aussprüche für das Heimwerker-Milieu und zog los. Schon am Eingang erkannte ich, dass ich mich wie erwartet in die Gesellschaft echter Kerle begeben hatte. Sie trugen lange Bretter auf den Schultern, Kartons unter den Armen, Dreitagebart im Gesicht und – Blaumänner. Ich seufzte und wusste, gleich morgen würde ich mich zum Integrationskurs anmelden. Aber jetzt brauchte ich Farbe.

Vor einem Regal mit Alpinaweiß beriet mich ein Verkäufer kenntnisreich über die beste für mich verfügbare Produkt. Ich verstand nicht im Mindesten, was er mir sagen wollte, lugte vorsichtig auf meinen Vokabelzettel, lächelte freundlich und sagte: „Haben Sie das auch in einer 15er-Stärke?“

Der Verkäufer sah mich irritiert an und wies auf einen kleineren Farbeimer. „Das kommt vielleicht darauf an, wie viel sie streichen wollen“, sagte er zögernd.

„Der Zulieferer hat ja seit Jahren Schwierigkeiten mit seiner Vertriebsstruktur“, sagte ich und nickte zu meiner eigenen Aussage.

Der Verkäufer sagte, wenn ich noch Fragen hätte, solle ich ihn wieder ansprechen, er kümmere sich jetzt mal um den Kunden da drüben.

Ich wuchtete einen Eimer qualitativ hochwertigen Wandweiß auf meinen Wagen (ein schwerer Faux-Pas – den trägt Mann auf der Schulter) und sprach dann einen weiteren Verkäufer wegen des Zubehörs an. Mein Fachvokabular verließ mich:

„Ich bräuchte so ein Netz...“

„Ein Netz?“

„Na, so ein Siebchen zum Farbe Abstreichen...“

„Ach für den Anstrich?“

„Ja, so ein Siebchen...“

„Sie meinen ein Gitter.“

„Genau, ein Abstreich-Gitter. Vielleicht in einer 15er Stärke.“

Der Verkäufer grinste und griff schwungvoll nach einem Gitter und legte es in meinen Wagen. Ich hatte direkt neben dem Gitterstapel gestanden.

„Ist das denn qualitativ vergleichbar mit dem Marktführer?“ fragte ich.

„Wir führen nur das. Ist einwandfrei.“

„Dann möchte ich noch eine Rolle.“

„Breit oder Schmal?“

„Mittelbreit. Am Besten aus der Achterserie“, sagte ich unsicher.

Ohne weitere Worte reichte er mir eine Streichrolle und fragte: „Sonst noch ein Wunsch?“

„Einen Blaumann hätte ich gerne. Mit Farbspritzern drauf und einem Loch auf Kniehöhe.“

„Tut mir Leid“, antwortete der Verkäufer höflich, „aber die Gebrauchsspuren muss man sich verdienen.“


Ich habe mich jetzt doch nicht zum Integrationskurs angemeldet. Ich lebe ja ganz gut in meiner Parallelgesellschaft und das gelegentliche Zusammentreffen mit der anderen Kultur lässt sich ja wie gesehen mit Höflichkeit und Rücksichtnahme erfolgreich bewältigen. In einer 15er-Stärke.

 

9. Januar 2011

Das Jahr 2011 hat mit einem kurzen aber heftigen Schlagabtausch mit meinem eigenen Ethos begonnen und ausgestanden ist das Ganze derzeit noch nicht.
Hintergrund ist ein lange gehegter aber ein wenig anstößiger Wunsch, dessen Verwirklichung ich aus einem Neujahrsimpuls nun in Angriff nehmen wollte. Bevor freilich die Erwartungen meiner Leser an sehr schlüpfrige Enthüllungen in den Himmel schießen, will ich gleich entwarnen: ich wünsche mir eine Spielkonsole.
Warum dies ein fragwürdiges Begehren ist, werden mein Mann und mein Ethos nun in wörtlicher Rede erläutern:
„Ein hoch respektabler Herr Regierungsrat springt nicht mit einem Gamecontroller in der Hand vor einem Großbildfernseher herum. Er verbringt nicht Stunden im Duell mit einer digitalen Steffi Graf und sollte weder wissen wer Donkey Kong noch wer Super Mario ist. Er schlägt die wertvollen freien Stunden seines Lebens nicht mit dem Spiel mit leblosen Dingen tot, verweigert sich nicht der Konversation mit Freunden und Familie. Er sollte die Zeit für die Lektüre intelligenter Bücher, das Abfassen kleiner Texte für seine Website oder das Sinnieren über relevante Themen mit heftigem Gegenwartsbezug verwenden oder wenigstens eine sinnvolle Ergänzung der These „Ich schreibe, also bin ich“ finden. Aber ganz sicher, ganz sicher, spielt er keine Videospiele.“
Andererseits hat das, was ich aber nun einmal unbedingt will, in mir eine rätselhaft einflussreiche Lobby. Und so stand ich am Freitag um 16 Uhr von der Arbeit kommend in Hemd und Krawatte, Westchen und Sakko in der E-Fun-Abteilung eines Mediamarktes. Umgeben von pickligen Halbwüchsigen studierte ich die unterschiedlichen Angebote und betete, von keinem Verkäufer angesprochen zu werden. Ich trug die Worte „Es ist für meinen Neffen“ so weit vorne auf meiner Zunge, dass sie mir aus dem Mund gepurzelt wären, wenn ich ihn nur einen Spalt weit geöffnet hätte. Aber niemand sprach mich an. Mir war heiß, ich fühlte mich zutiefst unwohl und während mein Ethos ein letztes Mal versuchte, mir mein Vorhaben auszureden, griff ich beherzt zu einem All-inclusive-Angebot für Zweihundertundeinbisschen Euro und hastete damit zur Kasse. Das Gerät war erheblich schwerer als gedacht. „Gewogen und für zu schwer gefunden“, rief mir mein Ethos hämisch zu. „Psst“, machte ich zu meinem Ethos und leider auch zu dem Herrn, der vor mir in der Schlange stand. „Wie meinen?“, fragte er. „Für meinen Neffen“, antwortete ich etwas sinnfrei, aber er drehte ich zufrieden wieder um.
Ich war fast am Ziel.
„Zweihundertuneinbisschen“, sagte die Kassiererin.
„Mit EC-Karte bitte.“
„Hmm, das Gerät will nicht.“
„Versuchen Sie es doch noch mal.“
„Tut mir Leid, ich krieg' den Betrag da nicht runter.“
„Ätsch, ätsch, ätsch, ätsch!!“, machte mein Ethos und tanzte um mich herum.
„Dann muss die Anschaffung noch warten,“ sagte ich würdevoll, ließ den schweren Karton auf an der Kasse stehen und hastete ebenfalls ausgesprochen würdevoll aus dem Geschäft.
Und wo mein Ethos und mein Mann ob der Ereignisse jauchzen, antworten meine Würde und ich selbst zutiefst verletzt aus der Schmollecke, in der wir uns aneinander wärmen: „Das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen!“

Als die Eltern von Karl-Theodor zu Guttenberg sich für die Vornamen ihres Sohnes entschieden, warfen sie dem Zeitgeist beherzt den Federhandschuh hin. Man muss neidlos anerkennen, dass sie dieses Duell wider Erwarten und doch ohne Mühe gewonnen haben. So wurde die Adel wieder zum Ideengeber einer neuen Zeit und hinter seinem Banner versammelt sich eine wachsende Schar von Ludwig-Samuels, Henrietten, Anne-Sopien und Heinrich-Gunthers.

Dieser Tage indes mögen sie bedauern, ihren Sohn nicht „basisnäher“ getauft zu haben. Hieße der pomadige Junior-Minister nämlich beispielsweise Detlef-Rainer oder Didi-Rollo könnte er sich trotz der Entdeckung von „Strg+C“ unbescholten weiter nennen wie bisher: DR zu Guttenberg.


Nur um die Sache bunt zu machen – nicht wegen des inhaltlichen Bezuges – sei noch erwähnt, dass die aktuelle Affäre die Doktorarbeit des Ministers vor ihrem wohlverdienten Schicksal bewahrt hat, nämlich von ganzen 10 Personen überhaupt nur gelesen zu werden: Erst- und Zweitkorretor und weiteren acht Personen, die das Werk nur versehentlich auf der Suche nach der Gutenberg-Bibel aus dem Regal genommen haben.

Und überhaupt: Wie stelle ich mir denn einen ruhenden Doktortitel vor?